Zeit der Stürme: Vier Highland-Kurzromane
wenn Sie Schwäche zeigen würden, wenn es Risse gäbe, wenn jemand nicht ganz auf der Höhe wäre – dann würde vielleicht alles in sich zusammenfallen, nicht wahr? Also kommt es nicht in Frage, nicht wahr? Oder wenn es jemand täte, würde der Rest es vertuschen. Niemals würden Sie etwas nicht tun, ganz gleich, was es ist, denn das geht einfach nicht, alle anderen würden dann schlecht von Ihnen denken, und das geht doch nicht, oh nein, das geht doch nicht!«
Hauptmann Randall beobachtete sie gebannt, und seine dunklen Augen waren voller Sorge. Hielt sie wahrscheinlich für eine Verrückte – wahrscheinlich war sie das ja auch, doch was spielte das schon für eine Rolle.
»Marjie, Marjie, Liebes«, murmelte ihre Mutter furchtbar verlegen. »Sag doch so etwas nicht zu …«
»Sie haben ihn dazu überredet, nicht wahr?« Sie war jetzt auf den Beinen, so dass der Hauptmann zu ihr aufblicken musste. »Er hat es mir erzählt. Er hat mir von Ihnen erzählt. Sie haben ihn darum gebeten zu tun … was auch immer es war, das ihn umgebracht hat. Oh, keine Sorge, er hat mir Ihre kostbaren Geheimnisse nicht verraten, er nicht, das hätte er nie getan. Er war schließlich Flieger.« Sie keuchte vor Rage und musste innehalten, um Luft zu holen. Vage nahm sie wahr, dass sich Roger ganz klein gemacht hatte und sich an das Bein des Hauptmanns klammerte; Randall legte automatisch den Arm um den Jungen, wie um ihn vor dem Zorn seiner Mutter zu schützen. Mühsam zwang sie sich, mit dem Schreien aufzuhören, und spürte zu ihrem Entsetzen, wie ihr die Tränen über das Gesicht zu laufen begannen.
»Und jetzt kommen Sie nach all der Zeit und bringen mir … und bringen mir …«
»Marjie.« Ihre Mutter trat so dicht an ihre Seite, dass sie ihre tröstende Körperwärme unter der alten Schürze spüren konnte. Sie drückte Marjorie ein Küchenhandtuch in die Hände, dann schob sie sich wie ein Kriegsschiff zwischen ihre Tochter und den Feind.
»Es ist sehr freundlich von Ihnen, uns das zu bringen, Hauptmann«, hörte Marjorie sie sagen und spürte, wie sie sich entfernte, um sich nach der kleinen Schatulle zu bücken. Marjorie setzte sich blindlings hin und drückte sich das Handtuch vor das Gesicht, um sich zu verstecken.
»Schau nur, Roger. Siehst du, wie sie aufgeht? Siehst du, wie hübsch. Man nennt es – wie sagten Sie noch, Hauptmann? Oh, Eichenlaub. Ja, genau. Kannst du ›Orden‹ sagen, Roger? Das ist der Orden von deinem Papa.«
Roger sagte gar nichts. Wahrscheinlich war er völlig verängstigt, der arme Kerl. Sie musste sich zusammenreißen. Aber sie war sowieso schon zu weit gegangen. Sie konnte nicht aufhören.
»Er hat beim Abschied geweint.« Sie murmelte ihr Geheimnis in die Falten des Handtuchs. »Er wollte nicht gehen.« Unerwartet schluchzte sie so heftig auf, dass ihre Schultern bebten, und sie drückte sich das Handtuch fest vor die Augen. »Du hast gesagt, du kommst zurück, Jerry. Du hast gesagt, du kommst zurück .«
Sie blieb hinter ihrer Baumwollfestung versteckt, während erneut Tee angeboten wurde – und zu ihrer vagen Überraschung auch angenommen wurde. Sie hatte gedacht, Hauptmann Randall würde die Chance nutzen, die ihm ihr Rückzug bot, und sich ebenfalls davonmachen. Doch er blieb, plauderte in Ruhe mit ihrer Mutter, unterhielt sich langsam mit Roger, während ihre Mutter den Tee holte, ignorierte ihre peinliche Darbietung vollständig und saß gelassen und freundlich in dem schäbigen Zimmer.
Das Klappern des Teetabletts gab ihr die Gelegenheit, hinter ihrer Handtuchfassade hervorzukommen, und sie nahm kleinlaut eine Scheibe Toast entgegen, die hauchdünn mit Margarine und darüber einem herrlichen Löffel Erdbeermarmelade bestrichen war.
»So ist es gut«, sagte ihre Mutter, die ihr beifällig zuschaute. »Du hast ja bestimmt seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Da wird ja jedem mulmig zumute.«
Marjorie warf ihrer Mutter einen finsteren Blick zu, aber eigentlich stimmte es; sie hatte nicht zu Mittag gegessen, weil sich Maisie wegen »Frauenbeschwerden« freigenommen hatte – ein Zustand, von dem sie etwa alle zwei Wochen heimgesucht wurde –, und sie hatte den ganzen Tag den Laden hüten müssen.
Das Gespräch umströmte sie angenehm wie freundlich glucksendes Wasser einen unbeweglichen Felsen. Selbst Roger entspannte sich, als er die Marmelade probierte. Er hatte noch nie Marmelade gegessen, roch neugierig daran, probierte vorsichtig mit der Zunge – und nahm dann einen
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