Zeit der Teufel
Gleichgewicht zu halten. Er schrie auf, als er die linke Hand belastete; der Schmerz stach bis hinauf in Schulter, Hals und Kopf.
Es dauerte ein paar Minuten, dann ging es ihm wieder besser. Er griff nach einem Tuch, befeuchtete es und wischte sich über Gesicht und Augen. Jetzt konnte er wieder etwas besser sehen, aber der unheimliche Gestank verfolgte ihn immer noch und wollte ihn regelrecht betäuben. Er betrachtete seine Hand, mit der er nach dem Telefonhörer gegriffen hatte. Sie war blutig, und in der Handfläche steckten etliche kleine Plastiksplitter. Hier und da schien die Haut am Handballen und den Fingern auch verbrannt zu sein.
»Verdammt«, murmelte er. Er fahndete im Spiegelschränkchen nach einer Pinzette und versuchte, einen der Splitter aus dem Fleisch zu lösen. Aber es wollte ihm nicht gelingen.
»Da muss ein Arzt 'ran.« Er betrachtete sich im Spiegel, so gut es ging. Sein Anzug war von Ruß- und kleinen Blutflecken verschmutzt. Aber das war nebensächlich. Wichtig war, dass er langsam seinen Gleichgewichtssinn zurück bekam und er auch wieder sehen konnte. Und hören. Dass er vorübergehend fast taub gewesen war, begriff er erst, als wie durch Watte das Sirren der Türklingel und ungeduldiges Klopfen an der Wohnungstür zu ihm durchdrang.
Natürlich. Die Nachbarn. Die Stärke der Wände des Hauses war umgekehrt proportional zur Höhe der Miete; Wohnraum war in Manhattan knapp und teuer. Dennoch hatte Zamorra diese kleine Wohnung genommen, weil er es von hier aus nicht sehr weit zur Universität hatte. Zehn Minuten zu Fuß; da brauchte er weder das Auto aus der Tiefgarage zu holen noch öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Der Nachteil war, dass er alles mitbekam, was die unmittelbaren Wohnungsnachbarn taten, und diese wiederum, was sich bei ihm abspielte. Sicher hätte er auch eine bessere Wohnung bekommen können. Aber die wäre vermutlich entschieden weiter weg und zweitens noch weitaus teurer. Er verdiente zwar einigermaßen gut, nicht nur durch seine Professur, sondern auch durch Veröffentlichungen in Fachzeitschriften, die recht ordentlich bezahlt wurden, aber sein monatlicher Etat war dennoch begrenzt. Das Buch, in dem er etliche seiner Artikel zusammengetragen hatte, verkaufte sich noch recht schleppend und warf wenig Gewinn ab. Und er hatte ab jetzt eine Sekretärin zu finanzieren. Die Hochschule hatte ihm zwar jetzt ein Büro bewilligt, aber nicht das Personal dazu. Ein merkliches Signal, dass man seine Tätigkeit als Parapsychologe nicht sonderlich hoch bewertete, auch wenn man ihn unbedingt als Dozent haben wollte. Er war gespannt, wie viele Studenten überhaupt seine Vorlesung und die Seminare belegen würden. Sicher nicht viele.
Zamorra verließ das Bad und bemühte sich, auf dem Weg zur Wohnungstür nichts mit der blutigen Hand zu berühren. Draußen stand eine Gruppe von rund zehn Männern und wenigen Frauen. Sie hatten natürlich den Explosionsknall mitbekommen und wollten jetzt wissen, was los war. Zwei von ihnen schleppten Handfeuerlöscher mit sich.
»Lieber Himmel, das stinkt ja«, keuchte einer von ihnen auf. Dann sah er Zamorras Hand. »Was ist passiert? Sie brauchen einen Arzt.«
»Ja«, sagte Zamorra. »Könnte bitte jemand einen rufen? Mein Telefon ist explodiert.«
»Telefone explodieren nicht. Die können gar nicht explodieren. Sie meinen den Fernseher.«
»Fernseher explodieren nicht, sie implodieren «, korrigierte Zamorra milde. »Ich meine durchaus das Telefon.« Seine Hand sandte immer noch Schmerzwellen durch seinen Körper.
»Lassen Sie mich mal sehen«, sagte einer der Feuerlöscherleute und wollte sich an Zamorra vorbei in die Wohnung drängen.
»Bleiben Sie bitte draußen«, stoppte der Professor ihn. »Alles, was ich benötige, ist ein Arzt. Aufräumen kann ich schon selbst.«
»Wo kommt denn der Gestank her? Das ist ja furchtbar«, keuchte ein anderer. »Kommen Sie, ich fahre Sie ins Krankenhaus. Aber versauen Sie mir nicht das Auto. Vielleicht sollten wir Ihnen die Hand erst mal provisorisch verbinden.«
Zamorra nickte. »Mache ich. Ich komme dann 'runter und warte vor der Tiefgaragenausfahrt, ja?« Ohne eine Bestätigung abzuwarten, schloss er die Wohnungstür wieder und ging ins Bad zurück, um ein paar Mullstreifen um die Hand zu wickeln.
Die Klimaanlage war inzwischen intensiv damit beschäftigt, Dämpfe und Gestank abzusaugen. Zamorra betrachtete das, was vom Telefon übriggeblieben war – nicht sonderlich viel. Kurz überlegte er,
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