Zeit der Träume
Waren nur diejenigen Künstler, die etwas schufen, das als schön oder schockierend wahrgenommen wurde, etwas, das in der bildenden Kunst, in der Musik, in Literatur oder Theater auf die Intuition zielte?
Wenn das so war, war dann der Rest der Welt nur das Publikum? Der passive Beobachter, dessen einziger Beitrag Applaus oder Kritik waren?
Was war der Künstler ohne Publikum?
Das war eine andere Art von Kolumne als sonst, aber sie war Flynn schon im Kopf herumgespukt seit der Nacht, in der Malory und er die Galerie durchsucht hatten. Jetzt war es an der Zeit, sie zu formulieren.
Im Geiste sah er sie wieder vor sich, wie sie im Lagerraum gestanden hatte. Eine Steinfigur im Arm und tiefe Trauer im Blick. In den drei Tagen, die seitdem vergangen waren, hatte sie ihn - und alle anderen - auf Abstand gehalten. Dabei behauptete sie, äußerst beschäftigt zu sein, verschiedene Ansätze ihrer Suche zu verfolgen und ihr Leben in Ordnung zu bringen.
So wie er es sah, war es jedoch niemals wirklich in Unordnung gewesen. Aber sie weigerte sich, herauszukommen, und sie ließ ihn nicht herein.
Vielleicht wirkte die Kolumne ja wie eine Art Botschaft für sie.
Er ließ die Schultern kreisen und trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte, bis er sich wieder auf seine Arbeit konzentrieren konnte und die richtigen Worte fand.
War nicht das Kind, das lernte, seinen Namen zu schreiben, auch ein Künstler? Ein Künstler, der Denkfähigkeit, Koordination und Ego erforschte. Kreierte es nicht ein Symbol seiner selbst, wenn es die Buchstaben aufs Papier malte? Das bin ich, und es gibt niemanden, der mir gleich ist.
In dieser Aussage und Leistung lag doch Kunst.
Was war mit der Frau, die abends ein warmes Essen auf den Tisch stellte? Für einen Küchenchef mochte das ja ein alltäglicher Akt sein, aber für alle, die sich mit dem Kochen nicht so gut auskannten, war es eine großartige, geheimnisvolle Leistung.
»Flynn?«
»Ich arbeite«, schnappte er, ohne aufzublicken.
»Da bist du nicht der Einzige.« Rhoda schloss die Tür hinter sich und setzte sich. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Flynn durch ihre eckige Brille entschlossen an.
Aber ohne das Publikum, das die Kunst würdigte, war es nichts wert... »Verdammt.«
Er hob den Kopf. »Was ist los?«
»Du hast mein Feature um einen ganzen Zentimeter gekürzt.«
Seine Hände zuckten, und am liebsten hätte er sein Jo-Jo genommen und ihr die Schnur um den faltigen Hals gewickelt. »Und?«
»Du hast gesagt, es bekäme zwölf volle Zentimeter.«
»Und du hast elf volle Zentimeter und einen Zentimeter Füllmasse geliefert. Ich habe das Überflüssige herausgestrichen, Rhoda, und jetzt ist es besser.«
»Ich möchte wissen, warum du dauernd auf mir herumhackst, warum du meine Artikel ständig kürzt. An John oder Carla hast du nie etwas auszusetzen, nur an mir.«
Weil sein Augenlid zuckte, legte er die Hand darüber. »John schreibt über Sport, das macht er seit über zehn Jahren. Und er hat eine Wissenschaft daraus gemacht.«
Kunst und Wissenschaft, dachte Flynn, und machte sich rasch eine Stenonotiz, damit er das noch in seine Kolumne einarbeiten konnte. Und Sport... wenn jemand einen Pitcher dabei beobachtete, wie er die Erde mit den Füßen in genau die richtige Form brachte …
»Flynn!«
»Was? Was?« Mit einem Ruck war er wieder in der Realität. »Und Carlas Artikel redigiere ich ebenfalls, wenn es sein muss. Rhoda, ich habe jetzt keine Zeit. Lass uns morgen einen Termin machen, wenn du ausführlicher darüber reden möchtest.«
Sie presste störrisch die Lippen zusammen. »Wenn wir das jetzt nicht lösen, werde ich morgen nicht mehr hier sein.«
Flynn lehnte sich zurück. Der Zeitpunkt war gekommen, sich endlich mit Rhoda auseinander zu setzen.
»Okay. Ich bin es Leid, mir deine Kündigungsdrohungen anzuhören. Wenn es dir hier nicht gefällt, wenn dir nicht gefällt, wie ich die Zeitung führe, dann geh.«
Sie wurde knallrot. »Deine Mutter hätte nie...«
»Ich bin nicht meine Mutter. Gewöhn dich daran. Ich leite den Dispatch. Ich leite ihn jetzt seit fast vier Jahren, und ich habe vor, das noch lange Jahre zu tun. Mach dich mit dem Gedanken vertraut.«
Tränen traten ihr in die Augen, aber Flynn zwang sich, sie zu ignorieren. »Sonst noch was?«, fragte er kühl.
»Ich arbeite hier, seitdem du lesen kannst.«
»Das mag unser Problem sein. Es hat dir eben besser gefallen, als meine Mutter noch die Verantwortung hatte. Du
Weitere Kostenlose Bücher