Zeit der Wut
danke, dass du gekommen bist.
5.
Bei der Trauerfeier zu Ehren Dantinis, die eine Stunde später stattfand, hatte Marco eine kurze, bewegte Rede gehalten und dabei Daria in die Augen geblickt, die in der dritten Reihe neben ihrem Chef, dem Kaffer aus dem Süden, saß. Sie behauptete, nicht mit ihm ins Bett zu gehen. Sie behauptete, mit niemandem ins Bett zu gehen. Marco hatte keinen Grund, ihr nicht zu glauben. Bei der kurzen, aber intensiven Begegnung hatte er festgestellt, dass es zwischen ihnen noch ein Band gab. Aber es würde nie wieder so sein wie früher. Nur die WUT schien das nicht zur Kenntnis zu nehmen und hatte wie früher auf ihre Anwesenheit reagiert, auf ihren zarten, fruchtigen Geruch, der einen merkwürdigen Kontrast zur Härte der Gesichtszüge und zur Straffheit ihres Körpers bildete. Ihre Nähe, ihren Blick zu spüren, versetzte ihn in einen Zustand wunderbarer Heiterkeit.
– Hauptkommissar Alessio Dantini verdanke ich alles. Für mich war er wie der Vater, den ich nie kennengelernt habe. Ohne ihn fühle ich mich verloren, nichts wird mehr so sein wie früher …
Lupo lauschte der Rede mit lebhaftem Interesse. Der Junge schien es ernst zu meinen. Umso besser. Vielleicht besaß er tatsächlich die „besonderen“ Eigenschaften, die zuerst Daria und dann Dantini so sehr fasziniert hatten. Während Lupo ihm zuhörte, wie er mit gebrochener Stimme sprach, fragte er sich, ob Marco Ferri nicht in der Hälfte der Furt war: Als zärtliche Mörder hatte der Dichter Browning Typen wie ihn bezeichnet. Menschen zwischen Abgrund und Licht, zwischen Normalität und Wahn … Sollte er Darias Meinung berücksichtigen? Kurz davor, auf dem Weg in die Trauerhalle, in der eine paar gelangweilte hohe Tiere und einige wenige Freunde saßen, die wirklich trauerten, hatten sie über ihn gesprochen. Er hatte am Ausgang der Caffetteria Nazionale auf sie gewartet, die nur einen Katzensprung vom Hauptquartier in der Via San Vitale entfernt war.
– Hast du mich beschatten lassen?
– Red keinen Schwachsinn, Daria. Ich habe nur nachgedacht. Ich habe einen Köder ausgeworfen, der Junge hat angebissen, du hast ihm dabei geholfen, und jetzt sind wir hier …
– Manchmal frage ich mich, ob ich nicht doch lieber diesen Posten im Ministerium annehmen sollte …
– Schließen wir Waffenstillstand. Erzähl mir von ihm und von dir.
– Krankhafte Neugier? Willst du die unanständigen Details hören?
– Ich möchte wissen, warum Dantini ihm … zu einem gewissen Grad … vertraute und ob er uns nützlich sein kann. Und um das zu verstehen, muss ich alles wissen. Das ist alles …
Seufzend hatte Daria zu erzählen begonnen. Vor vier, nein fünf Jahren hatten sie sich getrennt. Seit sechs, nein, seit sieben Monaten sprachen sie nicht mehr miteinander. Daria erzählte Lupo, dass Marco ihr sein Leben verdankte, in jeder Hinsicht, wobei sie merkte, dass sie pathetisch wurde. Sie hatte ihn gerettet, als er von den Albanern beinahe tot geprügelt worden war. Sie hatte ihn zu sich nach Hause genommen, nach Mestre. Und sie waren ein Paar geworden. Ein paar Details sparte sie aus. Vielleicht genierte sie sich oder vielleicht wollte sie sich die x-te Bemerkung zur Doppelbödigkeit der weiblichen Seele ersparen (was ist eigentlich mit der männlichen?).
– Er ist ein besonderer Mensch, der sich in einem Labyrinth verrannt hatte, aus dem er nicht mehr herausfand, sagte sie abschließend. Ich habe ihm eine Hand gereicht.
– Mit anderen Worten, du warst für ihn ein Mittelding aus Krankenschwester und Mama …
– Red keinen Blödsinn!
Geschieht mir recht, sagte Daria zu sich. Für den Fall, dass sie wieder einmal einen zärtlichen Gedanken für ihren Vorgesetzten hegen sollte, würde sie sich an seine eiskalte Brutalität erinnern. Aber am meisten kränkte sie zu wissen, dass Lupo recht hatte. Eine Krankenschwester und eine Mama. Und jetzt? Eine geile, schon leicht verblühte Vierzigjährige? Ein besonderer Mensch, ja, schon gut, eine Liebesgeschichte, und weiter? Gab es denn keine menschlichen Schwächen? Gab es verdammt noch mal keine Gefühle? Ich hasse dich, Nicola Lupo, ich hasse dich aus ganzem Herzen …
– Entschuldige. Und hasse mich bitte nicht. Du weißt, dass ich nichts von diesen Dingen verstehe. Sag mir lieber … wie war er, als du ihn gefunden hast?
– Marco? Es war er und doch nicht er. Er war wie unter dem Einfluss von … er nannte es die WUT. Eine blinde, zerstörerische Gewalt …
– Gewalttätige
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