Zeit der Wut
sich Spiele gegen Mannschaften mit den brutalsten Fans aus, wie die Wolverhampton Wanderers oder Stoke City. In der Woche darauf war Marco mit Luca nach Birmingham gefahren. Sie hatten auch ihm einen Schal, eine Mütze und einen Schlagring gegeben und ihm so viel Bier spendiert, wie er trinken konnte. Auf einem großen Platz vor einem im Rohbau befindlichen Einkaufszentrum hatten sie sich mit Chelsea-Fans geprügelt. Bei dieser Gelegenheit hatte er das Loch im Kopf davongetragen, mitten auf der Stirn, sein drittes Auge. Trotzdem war er wieder hingefahren. An diesem Nachmittag hatte er zum ersten Mal das Gefühl gehabt, dass sich die WUT besänftigen ließ, zur Ruhe kam. Seit ein paar Monaten arbeitete er in einer kleinen Firma, die im ganzen Veneto Kantinen montierte. Freitags oder samstags fuhr er nach Birmingham, sonntagabends oder Montag früh im Morgengrauen kam er zurück, voller Schürfwunden und blauer Flecken. Mit einem Höchstwert an Endorphinen. Als er mit zwei gebrochenen Fingern zurückkam, schmissen sie ihn raus. Es war ihm egal, er hatte genug beiseitegelegt, um die Fahrten zu bezahlen, zumindest eine Zeit lang. Die Woche über ging er ins Fitnessstudio, er verbrachte dort fast den ganzen Tag. Er lebte allein mit Killer, einem Mastiff, den er im Hof des Hauses an der Kette hielt, bis er eines Montags, als er aus Birmingham zurückkam, tot im Hof lag. Vergiftet. Er wusste, wer es gewesen war: der Sohn seiner Nachbarn, ein Scheiß-Gobbo, ein Juventus-Anhänger. Er hatte ihn verfolgt, beschattet, überwacht. Schließlich kannte er alle seine Gewohnheiten, die Personen, mit denen er verkehrte, die Orte, die er aufsuchte. Ein paar Mal in der Woche fuhr das Arschloch mit einer Arbeitskollegin zum Flussbett der Etsch, gleich außerhalb der Stadt, um im Auto eine Nummer zu schieben. Er hatte ihm einen mit Benzin getränkten Lumpen ins Auspuffrohr geschoben und ihn angezündet. Aus einem Versteck heraus hatte er zugesehen, wie der Juventus-Anhänger, das Arschloch, und seine verhurte Kollegin kreischend aus dem Auto liefen und wie sie sich kreischend ins eiskalte Wasser des Flusses stürzten. Niemand hatte ihn gesehen, niemand hatte ihn verdächtigt.
Jetzt hatte er nichts mehr zu tun. Er powerte sich im Fitnessstudio aus und dennoch fand er aufgrund der Albträume immer weniger Schlaf. Killer biss ein Kind tot, er schaute reglos zu, und als er sich zu seinen Füßen einrollte, machte er ihm mit einem Fleischerhaken den Garaus. Die Fahrten reichten ihm nicht mehr, die Woche über trieb er sich in den Discos des Hinterlands herum, streifte über die Parkplätze der Autobahnraststätten, durch die Baracken der illegalen Einwanderer, vom Fieber verzehrt. Er suchte Neger, Albaner, Transen, Kommunisten. Er drosch sie blutig oder wurde selbst verdroschen. Danach fühlte er sich immer besser, bis das Fieber wieder anstieg. Wie bei einem Süchtigen. In einer dieser blutrünstigen Nächte hatte er sie kennengelernt. Diesmal hatte er wirklich seine Haut riskiert. Das Gerücht hatte sich verbreitet, dass ein Verrückter mit einem Loch im Kopf herumlief und Albaner jagte, und sie warteten auf ihn. Zu sechst oder siebt waren sie auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums auf ihn losgegangen. Sie hatten ihn mit Faustschlägen und Tritten zu Boden gestreckt, aber er war wieder hochgekommen, er schlug mit dem Schlagring zu, blindlings, die Augen voller Blut, er spürte, wie seine Gesichtsknochen splitterten, er spürte die Tritte in den Rücken und in die Eier. Aber er spürte den Schmerz nicht, im Gegenteil er schien ihm viel Kraft zu verleihen. Die WUT hielt ihn aufrecht. Dann war aus der Ferne eine mächtige Stimme erschallt, ein grelles Licht war angegangen, Schritte huschten weg, und die Schläge hörten plötzlich auf.
– Hallo Marco.
In Darias Lächeln lag dasselbe Licht wie an diesem Morgen vor vielen Jahren. Als er zwei Tage nach der Prügelei im Krankenhausbett aufgewacht und sie da gewesen war. Marco hatte eine eingegipste Schulter, ein Bein im Streckverband und einen gelähmten Kiefer gehabt. Alles hatte mit diesem Lächeln begonnen. Mit der Zeit war es ihm sogar gelungen, das Hakenkreuz-Tattoo auf seiner Brust zum Verschwinden zu bringen. Sie hatte ihm gezeigt, wie man es in eine kleine Sonne verwandelte, in die Grundform, ein Symbol für Wohlstand. Und sie hatte ihm noch viele andere Dinge gezeigt. Kaum sah er sie, spürte er, wie die WUT sich beleidigt zurückzog.
– Setz dich. Trinken wir was. Danke …
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