Zeit der Wut
verbergen, dir lugt die Artillerie aus der Tasche … ciao ciao!
7.
Lies es in Ruhe durch. Setz dich bequem hin. Zieh dir was Legeres an. Streck die Beine aus, am besten lagerst du sie hoch. Und ja, wenn ich dir einen Rat geben darf, geh aufs Klo, bevor du anfängst …
– Ach, auch ich habe
Wenn ein Reisender in einer Winternacht
gelesen …
– Nein, ich möchte wirklich deine Meinung dazu hören und ich möchte nicht, dass diese Meinung von äußeren Faktoren beeinflusst wird.
In gewissen Augenblicken wirkte Lupo wie ein lästiges und etwas sadistisches Kind. Als er ihr seine Notizen zum Fall Dantini überreichte, hatte er sie mit guten Ratschlägen überschwemmt. Jetzt saß Daria in seinem Apartment in der Via degli Orti di Trastevere, nur einen Katzensprung vom Flohmarkt Porta Portese entfernt, in einem Sessel, schlürfte ein Glas Montepulciano d’Abruzzo und blätterte das Dossier durch.
Es begann mit Routinebemerkungen. Die Autopsie hatte ergeben, dass das Opfer von einer einzigen, hülsenlosen Patrone, Kaliber 22, getroffen worden war. Das ballistische Gutachten: Aus der Waffe, einer Bernardelli, deren Seriennummer herausgefeilt worden war, war nur ein Schuss abgegeben worden. Die Hülse war gefunden worden. Sie gehörte offenbar zu einer speziellen Patrone, einer Lapua, einem finnischen Produkt. Die nicht registrierte Waffe und die exotische Munition sagten etwas daüber aus, wie die Bernardelli in die Hände des Mörders gelangt war: Schmuggelgut aus dem Osten, das von der Mafia aus den Ländern jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs importiert wurde. Das Zeug fand sich in rauen Mengen auf allen beliebigen Märkten und in gut ausgestatteten Nomadencamps. Kein Zweifel hinsichtlich der absoluten Kompatibilität mit der Pistole, die man bei dem Anarchisten gefunden hatte. Abgesehen von den Fingerabdrücken auf dem Kolben war im Elektronenmikroskop der Nachweis von neun Blei-, Barium- und Antimonteilchen mit hohem Eisenanteil erbracht worden, ein Merkmal der seltenen, aber deshalb nicht weniger effizienten, finnischen Patrone. Dann folgten Kopien der politischen Pamphlete und des Tagebuchs von Guido di San Piero Colonna, in dem er seine aberwitzigen anarchistischen Fantasien festgehalten hatte. Blieb nur die Frage, warum Lupo derart hartnäckig war. Die Spezialeinheit der Staatspolizei hatte Nachforschungen im subversiven Milieu angestellt (in der „antagonistischen Galaxie“, wie Lupo es bezeichnete), aber die Verhörprotokolle gaben nicht viel her. Keiner von Guidos Freunden und Genossen schien ernsthaft etwas mit der Sache zu tun zu haben. Nicht einmal ein gewisser Rigosi Flavio, siebenundzwanzig Jahre alt, von dem sich Guido die Schlüssel zur Wohnung am Meer ausgeborgt hatte und dem er gesagt hatte, Probleme mit der Polizei zu haben. Rigosi hatte sich darauf beschränkt, ihm die Schlüssel auszuhändigen, ohne weitere Fragen zu stellen, vielleicht aus Solidarität unter Kampfgenossen. Er erinnerte sich jedoch an ein kurzes Gespräch, in dem es um ein „blondes Mädchen mit ungewöhnlichem Gesicht“ gegangen war, mit dem sich Guido am Freitag vor der Tat an der Bar des Zirkels unterhalten und mit dem er dann gemeinsam das Lokal verlassen hatte. Lupo hatte am Rand notiert: Das Mädchen suchen? Identität? Mögliche Verbindung. Probleme mit der Polizei. Der Sache nachgehen. Im Augenblick k. b. A., keine besonderen Anmerkungen.
Mit anderen Worten, Lupo fand es merkwürdig, dass Guido „Probleme mit der Polizei“ erwähnt hatte, während den ganzen Samstag nichts Besonderes vorgefallen war. Der Junge war nicht einmal zur Demo gegen Mamouds Verhaftung gegangen. Den Genossen war seine Abwesenheit aufgefallen. Hatte er sich auf den Mord vorbereitet? Lupo hatte die Protokolle der Hausdurchsuchung unterstrichen, die alle nichts ergeben hatten. Abgesehen von den Pamphleten und einem anonymen Anruf beim
Messaggero
, der von einer öffentlichen Telefonzelle auf der Via Marmorata aus geführt worden war, hatte man absolut nichts gefunden. Keine Waffen, keine Anspielungen auf Dantini, keine Hinweise, dass man ihn beschattet hatte, keine Fotos, keine Videos. Schön langsam begann Daria Lupos Logik zu verstehen. Ihr Chef war zu dem Schluss gekommen, dass Dantinis Mörder dessen Lebensgewohnheiten gut kannten, denn sie wussten, dass er im Vergnügungspark angreifbar sein würde, allein, ohne Kollegen. Daria trank noch einen Schluck Wein und stimmte allmählich mit Lupos Schlussfolgerungen überein. Woher
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