Zeit der Wut
Arbeitern, die die Tagesschicht antraten. Beide trugen die Uniform einer Wartungsfirma und hatten eine Werkzeugtasche bei sich. Corvo trug noch dazu eine Klappleiter. Niemand achtete auf sie. Portiere und Wachleute warfen einen zerstreuten Blick auf die eingeschweißten Ausweise, die an den Uniformen der beiden Polizisten befestigt waren, und ließen sie passieren. Seitdem die Wartungsarbeiten ausgelagert worden waren, wechselte ständig das Personal. Anonyme Gesichter wechselten einander unablässig ab. Niemand machte sich die Mühe, die Papiere der beiden Unglücksraben zu kontrollieren, die wahrscheinlich Einwanderer waren und sich ihren Lebensunterhalt damit verdienten, die Nase hinter die verstaubten Kulissen der öffentlichen Krankenhäuser zu stecken. Corvo und Rainer fuhren in den neunten Stock hinauf, gingen durch Vorräume und über Gänge, folgten dem Plan, den ihnen der Kommandant am Abend davor gegeben hatte, und als sie die markierte Stelle erreicht hatten, machten sie sich an die Arbeit. Corvo stieg auf die Leiter und begann ein Brett in der Zwischendecke abzuschrauben. Rainer, der etwas nervös war, beobachtete den Gang und hoffte, dass alles rasch und ohne Zwischenfälle über die Bühne gehen würde. Beide waren unbewaffnet, um im Falle genauerer Kontrollen unangenehme Konsequenzen zu vermeiden, und weil der Kommandant höchstpersönlich angeordnet hatte, Gewaltanwendung auf alle Fälle zu vermeiden. Der Tod des Anarchisten musste wie ein Zufall wirken. Corvo reichte seinem Kollegen das Brett, mithilfe einer kleinen Taschenlampe entdeckte er den Schalter, der das Gas in die richtigen Schläuche leitete, und legte ihn um. Tödlicher Stickstoff strömte in den Sauerstoffschlauch, der mit dem Beatmungsgerät auf der Intensivstation verbunden war.
– Beeil dich, flüsterte Rainer, es kommt jemand.
– Der Kommandant hat gesagt, drei Minuten lang, dann lege ich den Schalter wieder um.
Die Krankenschwester, die gerade den Nachtdienst auf der Psychiatrie beendet hatte und erschöpft war vom Bettpfannen-Leeren und Schizos-Sedieren, blieb zwei Schritte vor den angeblichen Arbeitern stehen.
– Ihr werdet mir doch nicht erzählen, dass ihr endlich die Klimaanlage repariert!
Corvo und Rainer warfen sich einen Blick zu. Rainer lächelte.
– Doch, Schwester. In fünf Minuten werdet ihr hier vor Kälte sterben.
Die Frau ging brummend weg. Corvo stellte die Kontakte wieder richtig ein und ließ sich das Brett geben. Kaum war er von der Leiter gestiegen, begann die Alarmglocke auf beängstigende Weise zu schrillen. Ohne Eile gingen Corvo und Rainer zum Lift auf der gegenüberliegenden Seite der Station.
Doktor Fera erhob sich aus seiner prekären Lage – er saß in einem äußerst unbequemen, mit Leinen bezogenen Stuhl – und kontrollierte zum x-ten Mal das Display der Geräte, die seinen Patienten/Häftling am Leben hielten. Alles im Normbereich. Die Nacht war beinahe vorüber. Nichts war passiert. Der Junge atmete mühelos, der Herzrhythmus war regelmäßig, ohne besondere Ausschläge nach unten oder oben. Picone und Ronzani, die von Lupo als Wachen abgestellt waren, in weißem Kittel und mit Mundschutz, wechselten sich im Halbstundentakt an seinem Lager ab. Bewaffnet und wachsam. Aber was befürchtete der verdammte Polizist? Glaubte er wirklich, jemand könne in die Intensivstation eines großen Krankenhauses eindringen und „die Arbeit zu Ende führen“, wie er gesagt hatte, beziehungsweise einen Patienten umbringen, der nicht nur von einem Team von Ärzten und Krankenpflegern, sondern noch dazu von drei bewaffneten Männern bewacht wurde? Der gewisse Polizist, Lupo, war eine Stunde vor Schichtwechsel ins Krankenhaus gekommen. Das Gespräch hatte surreale Züge angenommen.
– Niemand wird in das Zimmer eindringen, da können Sie ganz ruhig sein. Sie werden es auf elegantere Weise versuchen. Kann man den Jungen verlegen?
– Und wohin? Um ihn zu beatmen, müssen wir ihn am Gerät angeschlossen lassen, nein, das ist unmöglich!
– Soviel ich weiß, gibt es Zimmer mit Sonderausstattung, die hervorragend funktionieren …
– Und woher wissen Sie das?
– Sie haben ja keine Ahnung, wie viel ich weiß und wozu ich imstande bin, um zu erreichen, was mir am Herzen liegt. Was ist also mit den Zimmern mit Sonderausstattung?
– Wenn Sie wissen, dass es solche Zimmer gibt, wissen Sie auch, für wen sie reserviert sind.
– Für den Papst, den Präsidenten und andere hohe Tiere, die sich in
Weitere Kostenlose Bücher