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Zeit der Wut

Zeit der Wut

Titel: Zeit der Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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Das hängt ganz von dem Jungen ab. Wir dürfen uns bei ihm keinen Fehler erlauben. Wir dürfen uns keinen weiteren Toten erlauben. Ich habe bereits Dantini auf dem Gewissen.
    – Was redest du da?
    – Ich hätte ihn daran hindern sollen, Mastino zu treffen. Ich hätte mit dem ersten Flug aus Alaska zurückkommen sollen, ich hätte den Staatsanwalt anrufen sollen, ich hätte … Ich hatte nicht verstanden, wie weit Alessios Loyalität ging … er wollte einem wie Mastino eine letzte Chance geben, verstehst du? Mastino!
    Darias Stimme bekam einen zärtlichen Tonfall.
    – Das hast du nicht voraussehen können, Nicola. Dich trifft keine Schuld.
    Lupo seufzte.
    – Geh jetzt schlafen. Ich glaube, morgen wird ein langer, anstrengender Tag.

8.
    Später, als Marco verstand, wie die Dinge wirklich lagen, kapierte er, dass er die Falle augenblicklich hätte erkennen müssen, wenn er bloß ein bisschen klarer bei Verstand und weniger vorschnell gewesen wäre. Er hätte bloß in die eingeschlagene Richtung weitergehen sollen, und die Dinge hätten sich anders entwickelt. Aber als Mastino ihn umarmte und mit ihm ein Treffen für den nächsten Tag um zehn Uhr ausmachte – „geschniegelt und in Uniform, Junge!“ –, während die Autos von Corvo und Rainer im bleichen Morgengrauen, das nach Regen roch, mit quietschenden Reifen davonfuhren, in dem Augenblick wusste er nur eines: Er würde Mastino keine Abfuhr erteilen können. Er gehörte jetzt ihm.
    Es war beim Ausgang des Blu Notte passiert. Er hatte Mastino noch immer nicht die Zusage gegeben, die der andere unbedingt haben wollte. Da war ihm Taxi wieder über den Weg gelaufen. Sie befand sich in Begleitung eines Schwarzen, vielleicht eines Senegalesen. Groß und gelenkig wie ein Balletttänzer, schön wie das aktuelle Lieblingsmodell eines schwulen Modeschöpfers, mit einem breiten, charmanten Lächeln auf der Fresse. Marco hatte ihn aus dem Augenwinkel heraus gesehen, er fuhr gerade mit dem Moped über die Brücke, die auf die Isola Tiberina führte. Er hatte gesehen, wie er Taxi mit einem Schlag ins Gesicht zu Boden streckte, sie sich über die Schulter legte und sie wie eine schwere Last die Treppe runter trug, ans Ufer des Flusses. Instinktiv hatte er reagiert. Sie hatten sich geprügelt. Taxi war augenblicklich davongelaufen, schwankend auf den Bleistiftabsätzen. Sie hatten sich geprügelt, dann hatte die WUT begonnen zuzuschlagen. Methodisch, ohne Atem zu holen. Irgendwann hatte der Schwarze, dessen Gesicht nur noch blutiger Brei war, in die Innentasche seiner Jacke gegriffen. Suchte er vielleicht ein Messer oder eine Pistole? Ein Schleier hatte sich vor Marcos Augen gesenkt. Die WUT hatte die Wucht der Schläge gesteigert. Als Mastino, Rainer und Corvo ihn schließlich bändigten, war der Senegalese nur noch ein Haufen zerfetzter Kleider und Schleim. Er rührte sich nicht mehr.
    – Der ist hinüber, stellte Rainer fest.
    – So ein Scheiß, sagte Mastino.
    – Hast einen festen Schlag, was, Junge?, fügte Corvo hinzu und zündete sich eine Zigarette an.
    – Er wollte … die Pistole ziehen …, stammelte Marco.
    Mastino bückte sich, um die Leiche zu durchsuchen.
    – Es war nur seine Aufenthaltsgenehmigung, flüsterte er und schwenkte ein zerfetztes Blatt Papier.
    – Der arme Teufel, er hatte ordentliche Papiere.
    Marco nahm seinen Kopf in die Hände. Aus. Er war ein Mörder. Ein Mörder ohne Motiv. Er war auf die andere Seite gewechselt. Das hatte nichts mehr mit Gesetz zu tun. Nur noch mit der WUT und sonst nichts. Dann lächelte ihn Mastino an. Brüderlich, ermutigend.
    – Keine Angst, wir kümmern uns darum. Sind wir ein Team oder nicht? Jetzt räumen wir auf, los! Hier ist nichts passiert, habt ihr verstanden, Jungs? Zwei Scheißneger haben sich geprügelt und einer hat draufgezahlt … verstanden?
    Corvo und Rainer nickten. Die Aufenthaltsgenehmigung landete im Tiber, gemeinsam mit der Geldbörse, in der sich bloß ein paar Münzen befanden, und ein paar Fotos.
    – Es wird eine Untersuchung geben, protestierte Marco, man hat mich gemeinsam mit ihm gesehen …
    – Wer hat dich gesehen? Die als Frau verkleidete Tunte? Die gibt es gar nicht, glaub mir. Du und wir, wir sind die Einzigen, die wissen, wie es gelaufen ist. Und wir haben kein Interesse darüber zu sprechen, glaub mir. Bis morgen, mein Freund.

9.
    In dieser Nacht gingen Corvo und Rainer nicht schlafen.
    Ein paar Minuten vor sieben betraten sie das San-Giuliano-Krankenhaus, gemeinsam mit den

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