Zeit der Wut
Dieser Bison mit dem Veilchengeruch und dem einstudierten Hang zur Eleganz löste in ihr den grausamen Wunsch aus, ihn zu bestrafen. Sie hätte auf Lupo hören sollen. Es war zu spät, etwas zu unternehmen. Der Junge war ein fauler Apfel. Aber Lupo hatte ihr nicht ausdrücklich verboten, ihn zu sehen. Er hatte es nur für sinnlos erachtet. Und als er mit einem etwas albernen und etwas gekränkten Ausdruck am Tisch der Caffetteria Nazionale Platz nahm, empfand sie allen Vorsätzen zum Trotz auch ein wenig Zärtlichkeit. Was haben sie dir angetan, mein Kleiner? Von wem stammt dieses penetrante Damenparfum?
– Hat dich deine augenblickliche Flamme so zugerichtet? Oder Mastino?
Sie sah, wie er auf dem Stuhl hin und her rutschte, wie er mit einer brüsken Geste den Kellner wegschickte, der die Bestellung aufnehmen wollte.
– Dein Chef, der Kaffer aus dem Süden, hat es wirklich auf uns abgesehen.
– Nimm dich vor Mastino in Acht, Marco. Vertrau ihm nicht.
– Mastino ist ein hoher Beamter und mein Vorgesetzter. Entweder sagst du mir, was ihr gegen ihn in der Hand habt, oder du hörst mit diesen Unterstellungen auf.
– Ich sage nur, dass du mit einem wie ihm nichts gemein hast.
Einen Augenblick lang hatte Unsicherheit in Marcos Augen aufgeleuchtet. Und sie hatte Hoffnung gehabt. Aber der Junge hatte den Kopf geschüttelt und sie aus trüben Augen angeblickt, gekränkt. Kleinen Augen, viel kleiner als in ihrer Erinnerung. Sniffte Marco? Gehörte Kokain, die ungekrönte Königin der römischen Nächte zu dem Paket, mit dem sie ihn gekauft hatten?
– Was weißt du über mich? Wie ich jetzt bin?
Genau. Darum ging es. Lupo hatte es wie immer begriffen.
– Ist gut, es war ein Fehler, dass wir uns getroffen haben. Aber komm nicht zu mir gelaufen, wenn du eines Tages bereust, was du getan hast.
– Und wer kommt zu dir? Du hast mich … außerdem mache ich alles, was ich mache, für den Staat.
War es die WUT, die sie kurz aufblitzen hatte sehen, von der sie sich eingebildet hatte, sie in ihre dunklen Gefilde zurückgeschickt zu haben? Oder war es vielmehr der Impuls, ihm wehzutun, der Wunsch nach Rache, die ihren Blutzoll verlangte? Später würde sie es bereuen, dass sie diesen Satz ausgesprochen hatte, den sie um keinen Preis aussprechen hätte dürfen.
Und später würde sie sich selbst beglückwünschen, den Mut gefunden zu haben oder vielleicht auch so verantwortungslos gewesen zu sein, ihn auszusprechen.
– Für den Staat, Marco, oder für den Kommandanten?
9.
Zuerst war der Kommandant versucht gewesen, Lupo anzurufen, ihm Grüße auszurichten – wie es sich unter wohlerzogenen Menschen gehörte, die miteinander ein Stück des langen und gefahrenvollen Weges zurückgelegt hatten, den wir als Leben bezeichnen – und ihm zu erzählen, worin die Mission
Prince of Persia
bestand. Er hätte hinzugefügt: Ich werde tun, was ich tun muss, und du kannst mich nicht aufhalten. Er war sogar so weit gegangen, sich irgendeine Form von Abmachung vorzustellen. Er hätte ihm ein paar kleine Fische zum Fraß vorwerfen können: den jungen Polizisten zum Beispiel. Wer weiß, wie er sich gefühlt hatte, als er die Frau des Kommandanten vögelte. Und wer weiß, wie sie – Alissa – sich dabei gefühlt hatte … konnte man nicht ein vernünftiges Abkommen treffen, so wie es früher einmal üblich gewesen war?
Ach nein, es war nicht möglich. Ein Abkommen, das seinen Namen verdiente, musste eben vernünftig sein. Lupo hatte seit geraumer Zeit jede Vernunft aufgegeben. So wie er auch seine Klasse, seine Mission, sein Credo aufgegeben hatte. Lupo war nicht vernünftig. Lupo war ein Renegat. Und Renegaten treffen keine Abkommen.
– Hast du mich gesucht?
Alissa war in Trainingsanzug und Shorts, sie hatte eben Pilates gemacht, und ein paar Schweißtropfen liefen ihr über den langen Hals. Der junge Polizist hatte sich gut gefühlt, kein Zweifel. Wortlos legte der Kommandant Alissa die Fotos des Anarchisten hin. Inspektor Mariotti, den sie unsinnigerweise bezahlten, um die geheime Wohnung in der Via Caltanissetta zu verwalten, hatte sie ihm mit dem normalen Wochenbericht mitgeschickt. Dem Idioten war gar nichts aufgefallen. Er würde für seine Nachlässigkeit streng bestraft werden. Aber in der Zwischenzeit hatte er eine Menge kostbarer Zeit verloren, und was noch schlimmer war, Lupo war in Alarmbereitschaft.
– Was bedeutet das?
– Dass du einen Fehler gemacht hast. Und jetzt musst du die Sache in Ordnung
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