Zeit des Aufbruchs
Wachen. Doch Arakasis Interesse galt vor allem den drei Gestalten in dunklen Roben, die an der Tafel standen und gerade eine mit kaiserlichen Schleifen und Siegeln üppig versehene Schriftrolle anbrachten. Mara runzelte verwirrt die Stirn. Erhabene aus der Versammlung der Magier erledigten gewöhnlich nicht die Arbeit von kaiserlichen Beamten.
»Es scheint eine Erklärung zu sein«, meinte Arakasi. »Mit Eurer Erlaubnis, Lady, würde ich gerne nachsehen, worum es geht.«
Mara nickte zustimmend; die Gedanken über das Licht des Himmels hatten sie jetzt völlig aus ihrer Begeisterung für Kentosanis Lieblichkeit herausgerissen. Kaiserliche Erklärungen waren eine Seltenheit, und die Tatsache, daß die Erhabenen selbst eine anbrachten, ließ auf etwas Bedeutendes schließen. Es war nicht mehr länger nur müßige Spekulation, daß der gegenwärtige Kaiser bei weitem nicht so unnahbar war wie seine Vorgänger. Dieses Licht des Himmels, Ichindar, hatte nicht nur seine Hände im Spiel, er hatte das Spiel schon auf den Kopf gestellt.
Arakasi schritt bereits wieder zurück; er schlüpfte geschmeidig zwischen zwei Brotverkäufern hindurch, an deren Schulterstangen volle Körbe hingen. Als er bei seiner Herrin ankam, sagte er leise: »Mylady, die Erhabenen verkünden dem Kaiserreich, daß der Magier Milamber aus der Versammlung ausgestoßen wurde. Weiter heißt es, daß die Sklaven, die er in der Arena befreite, rechtmäßig als von ihren Herren entlassen gelten; es handelt sich jedoch um einen Einzelfall. Es ist ein kaiserlicher Erlaß und der Wille des Himmels, so verkündet Ichindar, daß es niemandem in der grauen Sklavenkleidung gestattet ist, diesen Status zu ändern. Um des Wohlergehens des Kaiserreichs willen, der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung und des göttlichen Willens müssen alle Sklaven ihren Status beibehalten – bis zu ihrem Tod.«
Mara war keine Veränderung anzumerken, doch die Freude war mit einem Mal verschwunden. Mit plötzlich schwerem Herzen bedeutete sie ihren Trägern weiterzugehen, dann schloß sie die Vorhänge, wie sie es immer tat, wenn sie allein sein wollte. Ihre Hände gruben sich in ein Kissen. Sie wußte nicht, wie sie es Kevin beibringen sollte, nachdem sie am Morgen mit ihrer unvorsichtigen Aussage verrückte Hoffnungen in ihm geweckt hatte.
Bis vor kurzem war sein Status als Sklave kein großes Problem für sie gewesen. Als Eigentum der Acoma waren ihm Nahrung und Unterkunft garantiert und auch ein gewisses Maß an öffentlicher Position durch die Ehre ihres Hauses. Als freier Mann hätte er gar keine Stellung, nicht einmal in den Augen eines Bettlers. Jeder Tsurani würde auf der Straße auf ihn spucken können, ohne Strafe fürchten zu müssen. Sosehr Mara ihn auch liebte, sie hatte seinen Stolz nicht immer verstanden, da er so anders war als der tsuranische Stolz und ein Sklave ihres Hauses sicherer war als ein clanloser, barbarischer freier Mann. Wer immer einige Zeit an den Docks in Jamar verbrachte, konnte gelegentlich abtrünnige Thurils oder Zwerge aus Dustari sehen und erkannte an ihrem Elend, daß sie recht hatte.
Doch soviel hatte sie inzwischen – wenn auch widerwillig – begriffen: Wenn er ein Sklave blieb, würde sie ihn eines Tages unweigerlich verlieren. Die Nacht der Blutigen Schwerter hatte ihr ohne jeden Zweifel klargemacht, daß er ein Krieger war; er verdiente die Freiheit, seine Ehre vergrößern zu können. Seither war ihr nicht mehr wohl bei der Vorstellung, daß er seine Tage als ihr Eigentum beenden sollte. Ihre Ansichten hatten sich geändert: Sie verstand, daß sein midkemischer Verhaltenskodex, so fremd er auch war, seine eigene, ihm innewohnende Ehre besaß.
In ihren Augen galt er schon längst nicht mehr als mit Schande beladen, weil er sich lieber von einem Feind hatte gefangennehmen lassen, statt sein Leben zu beenden, wie ein tsuranischer Krieger es getan hätte, oder weil er seinen Rang geheimgehalten hatte, um der sofortigen Hinrichtung zu entgehen.
Die Erkenntnis, daß ihre Versuche, Kevin zu seinem Glück zu verhelfen, nun zunichte gemacht worden waren, bereitete Mara Sorgen, und während des gesamten Besuches bei den Ginecho blieb sie etwas abwesend. Sie verhielt sich genau so, wie es bei einem ordentlichen gesellschaftlichen Besuch von ihr erwartet wurde, doch sie hätte hinterher kaum ein Wort der Unterhaltung wiedergeben oder Lord Kuganchalts Aufmachung auch nur annähernd beschreiben können. Falls Arakasi ihre
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