Zeit des Aufbruchs
erhoben und gehen wollten, hielt Mara den einen mit einem Auftrag zurück. »Benachrichtigt das Licht des Himmels, Saric. Bittet um eine Audienz. Schwört, auf welche Ehre unser Name auch immer birgt, daß die Sicherheit des Kaiserreiches von diesem Treffen abhängt.«
Der junge Berater unterdrückte seine Neugier. »Wann, Mistress?«
»Sobald wie möglich«, rief Mara über das unaufhörliche Heulen des Windes hinweg, »aber nicht später als eine Stunde vor heute mittag.« Ihre Stimme klang nicht mehr so scharf, als sie verschiedene Möglichkeiten in ihrem Kopf abwog und jene verwarf, die mehr auf unbegründeter Hoffnung denn auf gesunden Überlegungen basierten; keinen Augenblick zu früh hatte sie die Eingebung erhalten. »Wenn wir Tasaios Ziele vereiteln wollen, benötige ich jede Minute.«
Zwölf
Lösung
Der Kaiser lauschte.
In der riesigen Audienzhalle, einem Raum, der groß genug war, um zwanzig Kompanien Soldaten unterzubringen, saß Ichindar, Einundneunzigster eines ununterbrochenen Geschlechts, hoch oben auf seinem zeremoniellen Thron. Der imposante Stuhl bestand aus uraltem Holz, das mit Gold und Topas überzogen und mit massiven Rubinen, Smaragden und Onyx-Steinen an den Seiten und am Rücken verziert war. Er stand auf einem erhöhten, pyramidenförmigen Podest, zu dem an beiden Seiten Stufen hinaufführten. Vor ihm befand sich ein gewaltiges Sonnenrad in warmen Tönen aus Achat, weißem Opal und noch mehr Topas. Auf jeder Seite der gewaltigen Pyramide standen zwanzig Kaiserliche Weiße auf den Stufen und hielten Wache. Auf dem Boden direkt vor Mara standen Stühle für hohe Priester und Berater, doch nur drei waren jetzt anwesend: ein Schreiber, der für jene Tempelvertreter mitschrieb, die der Audienz nicht beiwohnten, der Oberpriester Jurans und der Hohe Vater des Tempels von Lashima. Mara war dankbar für die Anwesenheit des Prälaten Lashimas und hoffte, es wäre ein gutes Zeichen, denn dieser Mann hatte ihren geplanten Eintritt in den Orden geleitet, an dem Tag, als Keyoke gekommen war und die Siebzehnjährige als Herrscherin der Acoma mit nach Hause genommen hatte.
Sie hatte noch nicht einmal ihre Ehrengarde bei sich – denn Krieger waren während einer offiziellen Audienz beim Kaiser nicht erlaubt –, als sie jetzt den letzten Teil ihres Planes darlegte. Ein kaiserlicher Schreiber rechts von Mara schrieb ihre Worte, die in dem höhlenartigen Raum widerhallten, eifrig für das Archiv mit. Die gewaltigen, gewölbten Oberlichter der Halle, die Fenster aus Gold und Kristall, die glänzenden Marmorböden und der Klang ihrer eigenen Stimme gaben ihr das Gefühl, winzig zu sein.
Als sie das letzte Wort gesprochen hatte, verneigte sie sich tief und wartete entsprechend dem Protokoll mit vor der Brust gekreuzten Armen hinter dem Geländer, das kein Bittsteller übertreten durfte. Sie zitterte wider Willen und wartete auf eine Reaktion des Lichts des Himmels. Während die Minuten verstrichen und das Schweigen sich immer mehr in die Länge zog, wagte sie nicht einmal den Blick zu heben, aus Furcht, sie könnte Mißbilligung im Angesicht des jugendlichen Herrschers auf dem Podest entdecken.
»Vieles von dem, was Ihr vorschlagt, basiert auf Spekulationen, Lady«, sagte der Kaiser mit einem Ton unanzweifelbarer Autorität.
Ihre Augen waren immer noch auf das sorgfältig gearbeitete Muster im Fußboden gerichtet. »Majestät, es ist unsere einzige Hoffnung.«
»Was Ihr vorschlagt, ist etwas … Einmaliges, etwas, das es noch niemals gegeben hat.«
Daß Ichindar eher an die Tradition dachte als an seine eigene persönliche Sicherheit, besagte viel. Dieser schlanke junge Herrscher mit dem ernsten Gesicht war nicht begierig nach absoluter Macht; er war auch nicht zu furchtsam, um im Licht einer bevorstehenden Krise zu kühnen Konzepten zu greifen. Sie bewunderte die Reife und den Mut in jemandem, der körperlich so zart wirkte, und meinte: »Vieles von dem, was Ihr getan habt, hat es noch nie gegeben, Majestät.«
Ichindar neigte den Kopf, und die langen, goldenen Federbüsche seiner Kopfbedeckung schwankten, als er würdevoll seine Zustimmung kundtat. Er war in ganze Lagen kunstvoller Gewänder gehüllt und saß mit fast schon schmerzhafter Förmlichkeit da; in seinem Gesicht hatte die Bürde des Herrschens bereits ihre Spuren hinterlassen. Dunkel umschattete grüne Augen und Wangen, die von schlaflosen Nächten gezeichnet waren, störten ein Gesicht, das eigentlich sorgenfrei aussehen sollte.
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