Zeit des Aufbruchs
Unter den Juwelen und dem ganzen Pomp nahm Mara einen Geist wahr, den die Sorgen niederdrückten. Trotz seiner Jugend war sich das Licht des Himmels bewußt, daß der Boden, auf dem er stand, gefährlicher als Treibsand war. Er machte sich keine Illusionen. Seine Macht entsprang der unermeßlichen Ehrfurcht, die die Tsuranis seinem Amt entgegenbrachten, doch solche Gefühle mochten zwar tief verwurzelt sein, nicht aber grenzenlos. Obwohl es bei Ichindars neunzig Vorgängern unüblich gewesen war, war der Kaisermord doch nichts Unbekanntes. Der Tod eines Kaisers wurde als Beweis gewertet, daß die Götter ihren Segen bereits vom Kaiserreich abgezogen hatten. Die Umstände mußten bereits für alle katastrophal sein – bis auf den ehrgeizigsten Lord, der sie nutzte, um eine solche Tat zu begehen. Doch Mara wußte, daß Tasaio ein solches Ziel verfolgte. Und es gab heutzutage genug, die in der Abschaffung des Amtes des Kriegsherrn einen Schlag gegen die Tradition sahen, der schlimm genug war, eine solche Tat zu rechtfertigen.
Mara wußte sehr wohl um die Gefahren, die sie möglicherweise heraufbeschwor, indem sie dem Kaiser einen Weg zeigte, der sich noch weiter von dem bisherigen entfernte. Sie hob ihren Blick zu der Gestalt, die auf dem Podest thronte. »Majestät, ich biete lediglich Hoffnung. Ich kann die ehrgeizigen Absichten der Minwanabi allein vereiteln, doch nur unter großen Opfern. Ihr müßtet Tasaio den Titel des Kriegsherrn geben. Wenn er auf unblutige Weise das Weiß und Gold erhält, ziehen sich die Armeen vor Kentosani möglicherweise friedlich zurück. Ich verweise darauf, daß es eine leichte Wahl ist. Wählt diese Variante, und Ihr könnt Euch aus dem Großen Spiel zurückziehen, dem Hohen Rat seine Handlungsbefugnis wiedergeben und Euch Euren göttlichen Betrachtungen widmen. Doch ungeachtet aller persönlichen Fehden und Differenzen, gebe ich zu bedenken, daß man durch diesen Kurs nur wenig Zeit gewinnen würde. Ein Minwanabi auf dem Thron des Kriegsherrn würde zu einer Zukunft voller Zwietracht führen. Ich glaube, es existiert die Chance zu einem Wandel, hier und jetzt – möglicherweise bedeutet es ein Ende des unnötigen Blutvergießens, das unser Konzept der Politik zerfrißt. Ich glaube nicht, daß die Ehre darin wurzeln muß, aus Gründen der Vormachtstellung zu töten. Vielleicht erhalten wir niemals wieder die Möglichkeit, eine mitfühlendere Führung einzubringen. Daher flehe ich Euch unterwürfigst an: Bedenkt, was es bedeuten könnte.«
Der Kaiser betrachtete sie eingehend mit seinen grünen Augen von seinem Platz auf dem Podest. Als er keine Meinung dazu äußerte, erhob sich der Priester Jurans des Gerechten von seinem Platz; mit einem kurzen Zucken seiner schmalen Hand gab Ichindar ihm die Erlaubnis zu sprechen.
»Mara von den Acoma, ist es Euch in den Sinn gekommen, daß Eure Worte dem Himmel nicht gefallen könnten? Euer Name ist alt und geschätzt, und doch scheint Ihr die Ehre Eurer Familie beiseite schieben zu wollen. Ihr gelobtet Tasaio von den Minwanabi etwas, doch jetzt habt Ihr vor, einen höchst heiligen Eid zu brechen.«
Mara spürte eine schreckliche Furcht in sich aufsteigen. Die Gefahr, der Ketzerei beschuldigt zu werden, war ihr nur zu bewußt, und so richtete sie ihre Antwort allein an das Licht des Himmels: »Ich behaupte, daß es meine eigene Angelegenheit ist, wenn ich den Segen meiner Ahnen beiseite geschoben habe. Ich habe kein Gesetz überschritten und auch nicht den Himmel gekränkt. Bei allem, was ich getan habe, bei allem, was ich Euch zu bedenken bitte, handle ich nur zum Wohle des Kaiserreiches.« Ihr Blick wanderte jetzt zu dem Priester, als sie hinzufügte: »Selbst wenn ich den Namen meiner Familie entehren müßte – ich würde es bereitwillig tun, um dem Kaiserreich zu dienen.«
Stille trat ein bei dieser Erklärung, und dann folgte leises Gemurmel von der Handvoll Berater und Priester. Der Vertreter von Jurans Tempel setzte sich mit einem deutlich erschütterten Blick.
Das Licht des Himmels richtete seine großen, intelligenten Augen auf die Lady, die aufrecht und voller Trotz am Fuß seines Thrones stand. Nach einer kurzen, nachdenklichen Pause machte er eine Handbewegung zu seinen Priestern. »Niemand der hier Anwesenden darf die Lady der Unehrenhaftigkeit bezichtigen. Sie bringt keine Schande über ihr Haus und ihren Namen, sondern ehrt das Kaiserreich mit ihrem Mut und ihrer Treue. Wer sonst von den tausend Herrschenden hat es gewagt,
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