Zeit des Aufbruchs
mit dieser Wahrheit auf uns zuzugehen?«
Er hielt inne und nahm mit seinen feingeschnittenen Händen den offiziellen Kopfschmuck ab. Ein Diener huschte von der Seite herbei, kniete sich nieder und erleichterte ihn von der Bürde. Jetzt, da die hohe, gefiederte Krone nicht mehr auf seinem Kopf saß, wirkte Ichindar weit weniger formell. Er fuhr mit einer Hand durch die zerzausten braunen Haare und dachte nach. »Ich fing an, mich auf das Große Spiel einzulassen, weil ich sah, daß mein Onkel, Almecho, das Kaiserreich mit dem einzigen Ziel manipulierte, als Kriegsherr an der Macht zu bleiben. Die Folgen brachten vielen Menschen Leid. Sein Ehrgeiz war eine Bedrohung für die Nation … und für mich«, fügte er reuevoll hinzu. »Während ich mich zusammen mit Lord Kamatsu und einigen anderen darum bemühte, das Blutvergießen zu beenden, begann ich die Art und Weise, wie wir heute leben, in Frage zu stellen, und ich glaube, ich verstehe etwas von der Dringlichkeit, die Euch bewegt.«
Ichindar stand auf. Er winkte die Wachen fort, die sich zu beiden Seiten aufgestellt hatten, und trat vom Podest. »Laßt mich etwas mit Euch teilen, Mara von den Acoma, etwas, das nur eine Handvoll Männer wissen.« Die Haltung des Kaisers war fest, doch hinter der Maske des zum Herrscher geborenen Mannes sah Mara einen Jungen, der unter dem einengenden Gewicht seines Staatsgewandes noch verletzlich jung und so menschlich war wie sie. Gemessenen Schrittes näherte er sich ihr. Die Priester sahen zu, der von Jurans Tempel so gespannt wie ein Raubvogel, der Hohe Vater von Lashimas Orden leicht lächelnd, wie das Licht des Himmels zum Geländer ging und ihre Hand nahm.
Da eine solch unerwartete Vertrautheit Mara aus der Ruhe zu bringen schien, schaute er ihr direkt in die Augen. »Ursprünglich wollte ich die Nationen zum Frieden zwingen, denn ich sah große Gefahr für uns als Volk, wenn Eroberung unser einziges Ziel ist. Doch nachdem Milamber zurückgekehrt war, änderten sich meine Gründe. Ihr habt möglicherweise Gerüchte über die große Auseinandersetzung in der Welt Midkemia gehört. Ich gestehe Euch jetzt, daß der Feind, dem wir gegenüberstanden, derjenige war, der in unseren Legenden der Alte Feind genannt wird.«
Mara erinnerte sich an eine Diskussion, die sie vor einiger Zeit mit Arakasi geführt hatte, und so war sie nicht überrascht über diese Bestätigung. Sie hatte die alten Geschichten über einen unbekannten Schrecken, der der Alte Feind hieß, noch einmal gelesen. Er hatte die Heimatwelt ihrer Ahnen zerstört und sie über eine mystische Goldene Brücke als Flüchtlinge nach Kelewan geschickt. Obwohl die meisten ihrer Landsleute keinen Grund zu der Annahme sahen, daß diese alten Geschichten etwas anderes als Mythen waren, war in ihrer Haltung keinerlei Verachtung oder Ungläubigkeit zu spüren. Dies entging dem Kaiser nicht.
Ichindar wurde noch offener. »Der Schrecken aus der Zeit vor dem Morgengrauen unserer Geschichte existierte wirklich, und er war sogar noch furchtbarer als in den Legenden. Die Versammlung der Magier unterstützte mich in meinem Wunsch, daß wir als Volk zusammenstehen und uns ihm entgegenstellen müßten, wenn ein solcher Teufel unsere früheren Feinde im Königreich besiegen und ihren Zorn auf uns lenken sollte. Deshalb löste ich den Hohen Rat auf, damit die Machenschaften des Großen Spiels uns nicht gegen diese furchteinflößende Bedrohung schwächen konnten. Auf mein Kommando sind zehn Erhabene und dreitausend Soldaten des Kanzawai-Clans unter dem Befehl von Hokanu von den Shinzawai –«
»Hokanu war in der anderen Welt?« sprudelte es aus Mara heraus. Dann wurde ihr ihre Unverschämtheit gegenüber dem Kaiser bewußt, und sie fügte rasch hinzu: »Ich bitte Hoheit um Vergebung.«
Ichindar lächelte. »Ihr schätzt den jungen Mann, wie ich sehe. Ja, Hokanu war auf Midkemia; er verbrachte einige Wochen auf dem Schlachtfeld und noch mehr Zeit mit seinem Bruder, Kasumi.« Der Kaiser lächelte noch immer. »Wir verstehen unsere ehemaligen Feinde im Kaiserreich nicht. Kasumi hat als Dank für die Tapferkeit, die er im Dienst seines neuen Herrn in dem Konflikt zeigte, den Titel eines Edlen erhalten. Ich bin zwar nicht vertraut mit ihnen, aber wie man mir sagte, ist derjenige, den Kasumi erhielt, kein geringer.«
Die Große Freiheit, die Kevin immer wieder mit solcher Begeisterung verkündet hatte, war also wahr! Mara mußte plötzlich gegen Tränen ankämpfen, da dieser sichere Beweis
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