Zeit des Lavendels (German Edition)
Bierholen gegangen war. Er hatte die Ellbogen auf den fettigen Holztisch gestützt, das Kinn in die Hände gelegt und starrte in seinen gewürzten, heißen Wein. Er sah finster aus. Maria hatte fast ein wenig Angst vor ihm. Doch es war eine wohlige Furcht, denn in seinen Augen lag jener sehnsüchtige Blick, den jede richtige Frau im richtigen Moment gar zu gerne aus den Augen eines Mannes vertreibt, der ihr gefällt. Der Fremde hatte allerdings noch nicht einmal aufgeschaut, als sie ihm den Becher auf den Tisch gestellt hatte, die runden, herausfordernden Kugeln in ihrem Ausschnitt wären ihm dabei fast ins Gesicht gefallen. Er hatte es nicht einmal gemerkt.
Konz Jehle hatte Sehnsucht. Sehnsucht nach den grünen, wogenden Wipfeln der Wälder über Seggingen, nach dem Geruch der Stadt, jener Mischung aus Urin, Stall, Küchendünsten und Weihwasser. Er wünschte, er könnte jetzt dort durch die Straßen gehen, die Menschen grüßen, die er seit seiner Kindheit kannte. Er sehnte sich danach, durch die endlosen Wälder zu streifen, die er einst im Auftrag des Stiftes und des Murger Dinghofes zu betreuen hatte. All das fehlte ihm so sehr, dass sein Herz schmerzte. Er wusste nicht, was er hier in Konstanz in dieser Schänke eigentlich tat. Ein Instinkt hatte ihn in die Stadt am Bodensee getrieben.
Seit drei Wochen hatte er nun entlang des Rheins zwischen Basel und Konstanz versucht, irgendwo eine Spur von Thomas Leimer zu finden. Doch der schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Konstanz war seine letzte Hoffnung. Leimer war schon einmal in die Arme der Kirche zurückgekehrt, hatte man damals in Basel gemunkelt. Vielleicht wollte er es ja wieder versuchen. Vielleicht war er ja deshalb zu Bischof Metzler gegangen. In Basel konnte er jedenfalls kaum noch Freunde haben. Aber bislang deutete nichts darauf hin, dass er in Konstanz war. Seit vier Tagen durchstreifte Konz die Stadt, beobachtete den Amtssitz des Bischofs. Vorgestern noch hatte er gedacht, er habe Leimer gesehen. Ein Mann auf einem braunen Wallach, neben sich eine Frau auf einem zierlichen Zelter, die ihn liebevoll anblickte. Doch das konnte nicht sein. Die Frau irritierte ihn. Nein, ein Mann, der zurück in die Arme der Kirche wollte, würde sich nicht mit einer Frau belasten.
Konz Jehle stöhnte leise. Er wollte eigentlich nur nach Hause, dorthin, wo er sich auskannte, wo er sich nicht so verwirrt und einsam fühlte. Er sehnte sich zurück in sein Heim, nach seinem Sohn Thomas, nach seiner kleinen, rothaarigen Tochter, die er noch kaum kannte. Und nach dem plötzlichen, oft ganz unvermuteten Lächeln von Katharina, das seine ganze Seele mit Wärme erfüllen konnte.
Doch Katharina war nicht da. Die Frau, mit der er Tisch und Bett geteilt hatte, war eine andere als jene getriebene Fremde der Tage in Basel. Sie glich seiner Katharina, aber er kannte sie nicht. Kannte nicht die wilde Sehnsucht und Begierde, mit der sie diesen Thomas Leimer in einer dunklen Ecke wie eine Hure umarmt und geküsst hatte. Eine Geste von so tiefer Sehnsucht und Hingabe, dass ihm die Erinnerung daran schon wieder die Tränen in die Augen trieb.
Was hätte er danach auch mit ihr reden sollen? Er erkannte ihr Bedürfnis nach Aussprache wohl, als es ihm nach der schweren Verwundung durch Leimers Messer langsam wieder besser ging. Doch je weniger weh der Stich unter der Achsel tat, umso stärker empfand er den Schmerz ihres Verrates. Schon wenn sie ins Zimmer trat, hätte er sich wie ein Wurm zusammenkrümmen mögen, so furchtbar war es, sie auch nur anzusehen. Sie war nicht mehr die Frau, mit der er gelacht hatte, die Frau, die er umarmt hatte, die Frau, mit der er über die Zukunft ihrer kleinen Familie gesprochen hatte, die er mit seinem Leben beschützen würde. Seine Frau. Mein Gott, wie sehr er sie vermisste! Ihre zärtliche Berührung, wenn er traurig war, ihr aufmunterndes Lächeln, wenn sie ihm einen Becher kühles Wasser reichte, sobald er müde die Türe öffnete. Diese Frau, der er so bedingungslos vertraut hatte wie sich selbst.
Doch jene, die er in Basel gesehen hatte, war eine Fremde. Er hätte jeden niedergeschlagen, der behauptete, dass diese andere Katharina existierte. Vorher. Er hatte immer gewusst, dass seine Frau eine geheime, tiefe Wunde mit sich herumtrug, seit sie das erste Mal aus Basel zurückgekommen war. Doch er hatte sie nicht drängen wollen, nicht zwingen, ihm zu erzählen, wer der Vater des kleinen Thomas war. Obwohl er es hätte aus ihr
Weitere Kostenlose Bücher