Zeit des Lavendels (German Edition)
Morgengrauen schweigend neben sie ins Bett glitt. »Was hast du, amore?«, flüsterte sie. Mit ihrer gut ausgebildeten weiblichen Intuition für Gefahr fühlte sie die Anspannung, unter der er stand, fast körperlich.
Doch wieder einmal sagte er nur mit seiner sonoren Stimme abwesend: »Nichts, sorg dich nicht, Kleines.« Dann streichelte er sanft die weiche Haut ihres Rückens.
Konz war heute jedenfalls nicht nach weiteren Vergnügungen, das wurde ihr ebenfalls klar, als sie ihre Hand, für eine Hure bemerkenswert ungeschickt, über seinen Bauch nach unten streifen ließ. Bei ihm war sie befangen. Bei ihm war sie nicht die Venus von Trastevere, sondern eine junge Frau, die sich nach mehr als körperlicher Vereinigung sehnte. Schon so lange wartete sie auf ein Zeichen der Liebe. Aber selbst in ihren stürmischsten Stunden, wenn ihre Seele sich auftat und sie ihre Liebe heraussprudelte, die sie ohnehin kaum in Worte fassen konnte, kam keines von ihm. So blieben ihr nur die lächerlichen, kleinen, eigentlich nichts sagenden Ausdrücke, die alle benutzten. Und wieder fiel es ihr auf. Er hatte ihr gegenüber noch nie von Liebe gesprochen.
Giovanna sah Konz wenig in den nächsten Tagen und Nächten. Stunde um Stunde stand er vor dem Palazzo Venezia mit dem abweisenden Erdgeschoss, den Zinnen und dem Turm. Stunde um Stunde betrachtete er das elegante Obergeschoss, den piano nobile, den kleinen Balkon, der dem Papst hin und wieder zu Repräsentationszwecken diente. Am Ende kannte er jeden Stein dieses Hauses. In seinem Rücken fühlte er den großen Schatten der Kirche San Marco, sah hinter den Fenstern das Flackern der Kerzen, hörte Stimmen, wenn sie geöffnet wurden. Doch er wartete nur auf eine Stimme, auf ein Gesicht. Als es erschien, hätte er es fast nicht erkannt.
Thomas Leimer war rundlicher geworden, aber offenbar noch immer eitel. Er trug zwar das Habit des Theatinerordens, doch es entsprach bei weitem nicht in dem Ausmaß der Mäßigkeit und Armut, wie sie die Ordensgründer Cajetan von Thiene und Kardinal Carafa predigten. Offenbar war das Gewand maßgeschneidert, um den Bauchansatz Leimers zu verdecken. Außerdem hatte er seinen Vollbart abrasiert. Ein kleiner spanischer Spitzbart zierte sein Kinn. Die schulterlangen Haare und die Tonsur ließen sein Gesicht länger erscheinen, als es Konz Jehle aus der kurzen, aber intensiven Begegnung in Basel in Erinnerung hatte. Im Moment blickte er demütig zu Boden, nickte zu den Worten seines Begleiters, der den Kardinalspur-pur trug. Ihn erkannte Konz Jehle zuerst: Kardinal Carafa, einer der Männer im Dunstkreis des Papstes. Auch wenn Julius III. mit diesem moralinsauren, ehrgeizigen, verknöcherten Glaubenseiferer persönlich nicht allzu viel anzufangen wusste, so war er doch ein wichtiger Kämpfer um die Einheit des Glaubens, einer der Männer, die das Konzil von Trient zur Erneuerung des Glaubens in Gang gebracht und über alle Widerstände hinweg auch weitergetrieben hatten.
Dann blickte der Mann im Theatinerhabit kurz auf. Er sah Konz Jehle nicht, der sich in den Schatten eines Hauseinganges zurückgezogen hatte. Dem Mann vom Hochrhein jedoch fuhr der eisblaue Blick des Bruders durch Mark und Bein. Jener Blick, an dem er seinen Feind immer und überall erkennen würde.
Thomas Leimer schien den mächtigen Kardinal Carafa gut zu kennen. Es sprach eine gewisse Vertrautheit aus den Gesten, die die Unterhaltung begleiteten. Offenbar gab es ein Problem zu lösen. Konz Jehle konnte nicht verstehen, was die beiden beredeten. Doch die Worte »San Pietro« hörte er deutlich. Leimer hatte also etwas mit dem Bau zu tun, der Rom und die ganze Welt in Aufruhr versetzt und indirekt sogar Martin Luther und die Reformation ins Leben gerufen hatte. Seit einiger Zeit war die Kuppel für dieses Riesenwerk im Bau, für dessen Finanzierung der Dominikanermönch Johann Tetzel jene Ablässe verkauft hatte, die den Zorn des Augustinerpriors und zweiten Predigers an der Schlosskirche zu Wittenberg, des Professors an der kursächsischen Universität der Stadt, Martin Luther, erregt hatten.
Ohne dieses gigantische Bauwerk und all die Anstrengungen, die seine Verwirklichung kosteten, hätte es vielleicht weder die 95 Thesen Luthers noch die Reformation, noch die Bauernkriege, noch das Todesurteil für seinen Vater jemals gegeben — und auch keinen von der katholischen Kirche abgefallenen, zur Reformation übergetretenen Kleriker namens Thomas Leimer. Es war schon ein seltsames Spiel
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