Zeit des Lavendels (German Edition)
hermetisch abgeschirmten jüdischen Viertel am Tiber. Die Tochter einer Jüdin und eines Mönchs gehörte eigentlich nirgendwohin. Und weil dies so war, hatte sie in den vielen Welten Roms ihre Verbindungen. Mit ihr und als ihr Beschützer fand auch Konz Jehle seinen Platz.
Der Sohn des Gehenkten hatte sich in vielen Kämpfen Respekt verschafft, gut gelernt, mit dem Messer umzugehen. Doch noch etwas anderes brachte ihm Achtung ein. Man konnte sich auf seine Schweigsamkeit und Ehrlichkeit verlassen. Das zählte etwas in dieser Welt unter der Welt.
Niemals hatte Konz Jehle dabei vergessen, warum er nach Rom gekommen war: Er musste einen Mann finden, Thomas Leimer. Aber dieser schien noch immer wie vom Erdboden verschluckt zu sein.
Giovanna kannte die Besessenheit ihres Konz. Sie war nicht allzu erpicht darauf, dass er an sein Ziel kam. Sie hatte sich entschlossen, diesen Mann als ihren Beschützer zu behalten. Sie spürte genau, er würde gehen, wenn er diesen Thomas Leimer einmal gefunden hatte. Die Venus der Tavernen und Hinterhöfe hatte sich zum ersten Mal in ihrem jungen Leben verliebt. Der Körper war das eine. Ihn verkaufte sie wie eine Ware. Das Herz war etwas anderes. Und das gehörte Konz Jehle; ihm konnte sie vertrauen wie noch niemandem zuvor. Oft, wenn sie in den frühen Morgenstunden von ihrer Arbeit in die gemeinsame Kammer über einer Taverne in den verwinkelten Gassen von Trastevere kam und sich neben ihn legte, betrachtete sie ihn zärtlich. Dieser Mann war alles an innerer Heimat, was sie jemals gekannt hatte. Sie würde ihn nicht wieder hergeben, wenn es sein musste, mit allen Mitteln um ihn kämpfen. In manchen Momenten träumte sie sogar davon, als ehrbare Frau mit Kindern an seiner Seite zu leben. Doch Giovanna war zu klug. Sie wusste, das würde niemals Wirklichkeit werden. So klammerte sie sich an das, was sie hatte.
In manchen Momenten bekam sie besonders große Angst, ihn zu verlieren. Dann lag wieder jener bestimmte Blick in seinen Augen, der sie ausgrenzte, zu einer Fremden machte. Sie kannte diesen Blick. In diesen Momenten sah er sie an, als würde er sie nicht kennen, aus einem Traum erwachen und sich in einer Wirklichkeit wieder finden, die ihm fremd war.
»Wohin gehst du, woran denkst du? Was ist los mit dir?« Sie hatte ihn das so oft gefragt und nie eine Antwort bekommen — außer einem Kopfschütteln und immer demselben Satz: »Nichts, meine Kleine«. Dann fiel die Tür hinter ihm zu, und er blieb oft tagelang verschwunden.
Konz hatte schnell gelernt, sich vor Verfolgern zu schützen, wenn er nicht beobachtet sein wollte. Auch vor jenen, die Giovanna hinter ihm herschickte, weil sie wissen wollte, was er tat. Er wusste, sie würde ihm nicht helfen bei seiner Suche nach Thomas Leimer. Doch sosehr er sie auch schätzte und bewunderte, so nahe sie sich auch manchmal kamen, die tiefe, unauslöschliche Sehnsucht nach den Wäldern am Hochrhein, nach dem Fluss, nach Seggingen, verließ ihn nie. All diese Bilder waren mit einem Namen verbunden, der sich unlöschbar in sein Herz und seine Seele eingebrannt hatte. Er gab Giovanna, was er konnte. Doch sein Herz gehörte nicht mehr ihm. Daran hatte sich nichts geändert. Er musste diesen Leimer finden, ihn stellen. Erst dann konnte er zurück. Vielleicht.
In Gedanken versunken ging er über den Ponte Paladino, hin zu einer Kirche, die für ihn zu den schönsten dieser an Prunkbauten so reichen Stadt gehörte: Santa Maria in Cosmedin. Ihr siebenstöckiger, Jahrhunderte alter Campanile beeindruckte ihn bei jedem Besuch wieder. Doch es war nicht der Turm, der ihn hertrieb, sondern die große steinerne Maske, die Bocca della Verità, die Fratze der Wahrheit, die der Piazza ihren Namen gab. Rund, verzerrt, ein steinernes Relief mit leeren Augen und einem weit aufgerissenen Mund, so starrte sie die Besucher der Kirche an. Stundenlang stand Konz Jehle davor, stundenlang versuchte er das Gesicht der Wahrheit zu ergründen. So auch dieses Mal. Wie oft hatte er sich schon gewünscht, die Hand von Katharina oder Thomas Leimer in den Mund dieses bärtigen Götterkopfes zu stecken. Jeder in Rom kannte die Legende: Lügnern, die ihre Hand in den Mund dieser Fratze legten, wurde sie abgebissen. Jenen, die die Wahrheit sagten, geschah nichts. Doch die, von denen er Wahrheit wollte, waren nicht erreichbar.
Seufzend wandte er sich ab. Er hatte noch eine andere Verabredung in dieser Nacht, in der Nähe des jüdischen Ghettos unter dem Ponte Fabrizio. Das
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