Zeit des Lavendels (German Edition)
tummelten sich die Ratten, pickten die Tauben nach Resten, suchten ausgehungerte Hunde nach Fressen. Hin und wieder kam ein reich gewandeter, in Samt und Seide gehüllter Patrizier vorbei und warf eine Münze in den Becher des Bettlers. Doch das war eher selten. Die meisten beachteten ihn nicht. Sie ging hinüber zu ihm und suchte im Laufen einige kleinere Geldstücke aus ihrem Säckel heraus. Sie wollte dem armen Mann etwas geben. Vielleicht brachte es ihr ja Glück.
Sie sah den Jungen mit den zerrissenen Hosen kaum im Augenwinkel, da hatte er ihr die Geldkatze auch schon entrissen und stürmte davon. Sie schrie auf, so laut sie konnte. Da packte eine kräftige Männerfaust den Kleinen und wand ihm den Geldsack aus der Hand. »Junge, wie kannst du nur? Eine hilflose Frau bestehlen!«
Der Kleine wehrte sich mit allen Kräften. Doch gegen den Griff von Konz hatte er keine Chance. Ein Schwall unflätiger Gossenflüche ergoss sich über den Mann und die Frau. Die Worte trieben Magdalena von Hausen die Schamröte in die Wangen, obwohl sie nur wenige von ihnen verstand. Der Junge hatte einen furchtbaren Dialekt — die Sprache der Straße. Konz schien das nicht zu kümmern. Er war Ausdrücke wie diese gewohnt. Unflätige Flüche erschütterten ihn schon lange nicht mehr. Er kannte sie inzwischen alle. Gutmütig sah der Hüne auf das schmächtige Kind hinunter. Der kleine Dieb war fünf, höchstens sechs Jahre alt, sein Gesicht verkrustet vom Dreck der Rinnsteine und Kloaken.
Er packte den Jungen am Kragen und schob ihn zu Magdalena. »Und was machen wir jetzt mit dem Bengel? Wenn ich ihn loslasse, geht er gleich wieder auf das Geld von anderen Leuten los. Den römischen Hütern des Gesetzes will ich ihn aber auch nicht übergeben. Die haben nicht viel Mitleid mit solchen Kindern. Wenn sie Glück haben, kommen sie ins Armenhaus. Wenn sie Pech haben, werden sie an den Führer einer Diebesbande verkauft.«
Magdalena lachte. »Na, dann werde ich mich wohl um den Kleinen kümmern müssen. Die Dominikanerinnen, bei denen Katharina und ich in Rom untergekommen sind, wissen vielleicht einen Rat.« Sie betrachtete den kleinen Burschen prüfend, der sich verzweifelt drehte und wendete, um dem Griff der großen harten Hand zu entkommen. In ihren Augen glomm ein amüsierter Funke. »Allerdings glaube ich, dass wir ihm entweder den Mund zunähen sollten, oder ich muss diesem Bengel schnellstens beibringen, sich halbwegs anständig auszudrücken, sonst werden uns unsere Gastgeberinnen im Kloster der Dominikanerinnen allesamt aus dem Haus werfen. Ich sehe die Mutter Oberin schon mit schamrotem, empörtem Gesicht durch die klösterlichen Gänge wandeln.« Der Kleine hatte nichts von dem verstanden, was Konz Jehle und Magdalena von Hausen in ihrer Muttersprache zueinander gesagt hatten. Aber er wusste nur zu genau, dass hier über sein künftiges Schicksal verhandelt wurde.
Magdalena von Hausen betrachtete ihren Schützling nachdenklich. »Auf jeden Fall bin ich Euch zu Dank verpflichtet, mein Freund. Ich war wirklich unvorsichtig. Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn der Bengel all mein Geld gestohlen hätte. Dann hätten Katharina und ich nichts mehr gehabt, um zurückzukommen — und Ihr auch nicht.«
Konz Jehles Gesicht verfinsterte sich. »Ich komme nicht mit zurück. Das sagte ich schon. Nicht, bevor ich getan habe, was zu tun ist.«
»Ihr wollt Thomas Leimer an die Gurgel. Habe ich Recht?«
Konz' Miene wurde noch ablehnender, so weit dies überhaupt möglich war. Er zögerte. Doch Magdalena wollte ihre Antwort. »Seid ehrlich, sagt, was Ihr vorhabt.«
Da brach es aus ihm heraus. »Er verdient es nicht besser. Manchmal denke ich, der einzige Lebenszweck dieses Mannes ist es, andere unglücklich zu machen. Er ist ein Bigamist und ein Lügner. Außerdem ist er ein Betrüger und ein Dieb. Ich beobachte ihn schon seit einigen Wochen. Er bestiehlt sogar Gott um seine Steine für den Bau des Doms. Mein Vater hat gegen die Seuche dieser heuchlerischen Pfaffen gekämpft und ist dafür gehenkt worden. Soll ich, sein Sohn, nun weniger tun?«
»Konz Jehle von der Niedermühle, ich bitte Euch, lasst ab von diesem Plan. Das ist eines guten Christen nicht würdig. Ihr macht Euch nur mit jenen Pfaffen gemein, gegen die wir beide etwas haben, wie Ihr wisst. Und es ändert nichts. Nichts wird dadurch ungeschehen gemacht. Ich kann verstehen, dass Ihr meinen Gatten hasst. Doch der Hass ist kein guter Ratgeber. Wollt Ihr am Ende ein
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