Zeit des Lavendels (German Edition)
selbst. »Wen habt Ihr denn da aufgelesen?«, rief sie dem ungleichen Paar entgegen.
Magdalena zuckte etwas hilflos die Schultern. »Er wollte mir meine Geldkatze stehlen.« Sie schluckte. Beinahe hätte sie Katharina verraten, dass sie Konz Jehle gesehen hatte. Irgendwann würde sie ihr davon erzählen müssen. Aber jetzt mussten sie sich erst einmal um den Jungen kümmern.
»So, so.« Katharina nickte. Sie schien nicht sonderlich überrascht. »Und dann habt Ihr mit Eurem guten Herzen den kleinen Gauner gleich an Kindes statt angenommen.«
Verblüfft blickte Magdalena zu dem Jungen hinunter. Der schaute mit großen, dunklen Augen zu ihr auf. Sein Blick verriet Angst und Misstrauen. Katharina hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie konnte sich nicht helfen, irgendetwas an diesem winzigen Bürschchen rührte sie. Vielleicht war es die kindliche Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe oder zumindest nach jemandem, der ihn nicht verletzte und ihm wehtat, die auch dieses verschmierte, bockige Gesicht nicht verbergen konnte. Die großen Kinderaugen, die schon viel zu viel gesehen hatten, erzählten ihre eigene, traurige Geschichte. »Ja«, sagte sie zögernd. Dann musste auch sie lachen. »Ja, ich glaube, so ist es.«
Katharina wurde praktisch. Sie wusste genug von ihren eigenen Kindern, um zu erkennen, dass dieses hier ziemlich hungrig sein musste. Der Junge hatte wohl schon lange nichts Richtiges mehr in den Magen bekommen. Zu groß waren die Augen in diesem mageren Gesichtchen, die Ärmchen zu dünn, die aus dem zerrissenen, groben Hemd von undefinierbarer Farbe hervorschauten.
»Am besten geben wir ihm erst einmal etwas zu essen«, meinte sie trocken. »Ich werde mich in der Küche umschauen.«
»Meinst du nicht, wir sollten ihn erst einmal gründlich waschen? Er stinkt wie die schlimmste Kloake von Rom.« Magdalena von Hausen schaute noch einmal zweifelnd auf ihren kleinen Begleiter.
Katharina schüttelte den Kopf. »Sauber machen können wir ihn später. So wie ich ihn einschätze, wird er diese Prozedur viel friedlicher über sich ergehen lassen, wenn er vorher etwas in den Magen bekommen hat. Was nützt die schönste Sauberkeit, wenn er uns vorher wie eine kleine, räudige Katze verhungert. Während ich etwas Essen besorge, könntet Ihr ihm ja vielleicht das Gesicht und die Hände waschen. Um den Rest kümmern wir uns später.«
Magdalena nickte. Sie verstand einfach zu wenig von Kindern. Aber wie es schien, würde sie es lernen müssen.
Schweigend schauten die beiden Frauen zu, wie der Junge eine halbe Stunde später die Brotsuppe in sich hineinschlang. Sie hatten ihn mit in ihre Kammer genommen und ihn an den kleinen Holztisch gesetzt. Katharina hatte absichtlich eine Suppe mitgebracht, die der kleine Magen wahrscheinlich besser verdauen konnte.
Nach den ersten Bissen aß er etwas langsamer und schaute hin und wieder verstohlen zu den beiden Frauen, die ihn beobachteten. Er traute ihnen nicht. Man konnte keinem Erwachsenen trauen, das hatte er gelernt. Und schon gar keinem, der sich so freundlich gab. Sie wollten immer etwas für ihre Nettigkeit. Niemand gab in diesen Zeiten etwas umsonst. Jedenfalls bekam er endlich etwas zu essen. Er machte sich so klein wie möglich. Vielleicht vergaßen sie ihn ja dann.
Doch es nutzte nichts. Sie vergaßen ihn keineswegs. Kaum hatte er den letzten Löffel Suppe im Magen und wollte sich gerade daranmachen, eine Fluchtmöglichkeit zu erkunden, da packten sie ihn auch schon. Er wehrte sich mit Händen und Füßen, doch es half nichts. Den beiden entschlossenen Frauen hatte er nichts entgegenzusetzen. Sie rissen ihm die Kleider vom Leib. Er schrie Zeter und Mordio. Dann steckten sie ihn in einen Zuber mit lauwarmem Wasser, der ins Zimmer gebracht worden war. Darin saß er nun, ehe er es sich versah. Protesttränen zogen ihre Spuren durch die Dreckkruste auf seinem Gesicht. Schließlich gab er auf, zumal diese Hände erstaunlich sanft mit ihm umgingen. Widerstandslos ließ er sich abschrubben. Doch dann kam ein Schwung Wasser von oben, dass ihm Hören und Sehen verging. Dreimal wiederholten die Frauen diese Prozedur. Er hatte das Gefühl, die Haut an seinem Körper sei von oben bis unten aufgeschrammt. Aber das prickelnde Gefühl der Sauberkeit war auch überraschend angenehm.
Die jüngere der beiden Frauen lachte. Dann packte sie ihn unter den Achseln und hievte ihn aus dem Wasser. Ohne sein Protestgeschrei zu beachten, musterte sie ihn von oben bis unten. »Na,
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