Zeit des Lavendels (German Edition)
Gottes nicht zum Guten für seine Mitmenschen, sondern zu seinem eigenen Vorteil. Ich habe lange darüber nachgedacht, aus welchem Material Gott diesen Menschen geschaffen hatte. Es war weder Erde noch Feuer, noch Wasser, es war Luft. Schmeichelnde Luft, die schließlich einen Sturm entfachte, der so viele Leben zerstörte. Der Herr ist mein Zeuge, ich habe darum gekämpft, gut zu sein und das Richtige zu tun. Doch am Ende war ich unfähig dazu.
In gewissem Sinne kam mir mein Zusammenbruch sehr gelegen. So musste ich am Karfreitag nicht ins Münster, um Thomas Leimer predigen zu hören. Ich hätte es nicht ertragen. Wahrscheinlich wäre ich schreiend aus der Kirche gerannt. Mein Mann ging an diesem Morgen nur zögernd. Er wollte mich ungern alleine lassen. Doch ich beruhigte ihn, versprach ihm, wenn er wiederkäme, würde es mir schon besser gehen. Mit einer hilflosen, liebevollen Geste, die mich zutiefst rührte, nahm er schließlich unseren Sohn auf den Arm und ging. Ich lag unter meinen Decken und fragte mich, warum ich ihn nicht lieben konnte, meinen Mann, dessen gutes, starkes Herz meiner Liebe um so vieles mehr wert war. Es ist schon seltsam, die Liebe richtet sich nicht nach der Erkenntnis der Vernunft. Am stärksten brennt sie dort, wo sie verschmäht worden ist. Wahrscheinlich ist es eines der größten Geschenke Gottes überhaupt, wenn die Liebe der Liebe begegnet. Wenn nicht, dann ist es vielleicht besser ohne sie. Freundschaft, Vertrauen, Sicherheit können sie durchaus ersetzen, diese sanfte Glut, die zwei Menschen zusammenhält, die Gewissheit, zusammen den Alltag zu meistern. Trotzdem werden sie sich immer danach sehnen, zu verbrennen, wie die Motten am Feuer. Ich verstehe es auch nach so vielen Jahren noch immer nicht richtig.
Ich jedenfalls brannte. Lichterloh. Ich lernte, dass es stimmt, was so viele sagen: Der Hass ist nur das andere Gesicht der Liebe. Doch er ist auch die Dunkelheit, ein wüstes unfruchtbares Land, das jeden zerstört, der es betritt. Die Kraft des Hasses ist so oft stärker als die der Liebe. Viel zu oft. So wie das Böse eben viel zu oft das Gute tötet. Ich hoffe noch immer, dass das nicht stimmt. Dass ich nur eine getriebene Helferin in dieser Schlacht war, die das Böse gewann. Dem Himmel sei Dank, dass es immer die letzte Schlacht ist, die am Ende den Krieg entscheidet.
Am Karsamstag kam Magdalena von Hausen in unser Haus. Konz und Nele hatten ihr von meiner »Krankheit« berichtet. Sie machte sich Sorgen um mich, das sah ich. Und ich heuchelte. Heuchelte Freude, sie zu sehen, heuchelte Zuversicht, bald wieder gesund zu sein. Wie hätte ich ihr auch sagen können, was mit mir war. Ich hatte mein Herz längst gegen sie verschlossen, war in die Dunkelheit hinabgetaucht, in jenem Land gefangen, das kein Lichtstrahl mehr erreicht, in dem das Wasser des Lebendigseins vertrocknet ist.
Ohne es zu wollen, stieß sie mich noch tiefer in diesen Abgrund. Vielleicht hätte sie es mir nie gesagt. Doch sie sah, wie elend ich mich fühlte, muss gespürt haben, wie verzweifelt ich war und gedachte, mich mit dieser guten Nachricht zu erfreuen. Wie konnte sie auch ahnen, was ihre Worte bewirkten.
Eine lange Zeit saß die Fürstäbtissin schweigend an meinem Bett. Wohl erschrocken über die Unordnung, die in meinem Hause herrschte. Denn seit Gründonnerstag hatte ich mich nur erhoben, um zum Abort hinter dem Haus zu gehen. Der Boden war nicht gefegt, Kleider lagen im Raum herum, kein Palmzweig kündete vom Fest und der Auferstehung des Herrn.
Magdalena versuchte ihr Erschrecken zu überspielen, mir Zuversicht und Freude zu vermitteln. So erzählte sie mir, was ihr ganzes Wesen bewegte, sie erzählte von ihrem eigenen Glück, ihren eigenen glühenden Überzeugungen, von der Schlacht, die sie kämpfen würde. Die Schlacht für eine neue Zeit, die kommen musste. Davon war sie jetzt überzeugt. Trotz all der Rückschläge, die die Reformierten im vergangenen Jahr hatten hinnehmen müssen. Trotz all der Toten, der Verstümmelten, dem Leid.
»Du hättest Thomas Leimer predigen hören sollen. Die ganze Liebe und Gerechtigkeit Gottes strahlte förmlich aus ihm. Er formulierte die Sehnsucht der Menschen nach einem Leben, das sie bereit macht für das Jüngste Gericht, sodass sie bestehen vor dem Urteil des Allmächtigen, wenn dereinst ihre Zeit kommt. Seine Worte waren so eindringlich, gingen uns allen so sehr zu Herzen. Keiner glaubte am Ende mehr, Thomas Leimer sei ein Ketzer. Er ist ein Mann
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