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Zeit des Mondes

Zeit des Mondes

Titel: Zeit des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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das Schweizer Taschenmesser aus meinem Zimmer, nahm eine Handvoll Lebertran-Kapseln aus dem Badezimmer und steckte sie in die Tasche.
    Ich fragte Papa, ob er einverstanden sei, wenn ich wieder zu Mina ginge.
    „Kümmere dich nicht um mich“, sagte Papa. „Ich mache die ganze Drecksarbeit. Renn du nur herum und vergnüg dich.“

19
    Ihre Decke und ihre Bücher lagen noch auf dem Rasen, aber sie war nicht da. Ich schaute in den Baum hinauf, da war sie auch nicht. Ich stieg über die Mauer, ging zur Haustür und drückte die Klingel. Ihre Mutter kam.
    „Ist Mina da?“, fragte ich.
    Sie hatte pechschwarzes Haar wie Mina. Sie trug eine Schürze, die voller Farb- und Tonflecken war.
    „Ja, sie ist da“, sagte sie. Sie streckte die Hand aus. „Du musst Michael sein. Ich bin Mrs McKee.“
    Ich schüttelte ihr die Hand.
    „Mina!“, rief sie. „Wie geht es dem Baby?“, fragte sie mich.
    „Sehr gut. Ja, wir glauben, es geht ihm immer besser.“
    „Babys sind zäh. Sie sind Kämpfernaturen. Sag deinen Eltern, ich denke an sie.“
    „Werde ich.“
    Mina kam an die Tür. Sie hatte auch eine mit Farbe bespritzte Schürze an.
    „Wir modellieren“, sagte sie. „Komm und schau dir an, was wir machen.“
    Sie führte uns in die Küche. Auf dem Tisch lagen große Tonklumpen in Plastiktüten. Der Tisch war mit einer Plastikplane bedeckt. Messer und Werkzeuge aus Holz lagen herum. Minas Buch mit Vogelzeichnungen war bei der Amsel aufgeschlagen. Sie zeigte mir den Ton, mit dem sie arbeitete. Es war nur ein Klumpen, aber ich konnte die Umrisse eines Vogels erkennen: ein großer Körper, ein spitzer Schnabel, ein platt gedrückter Schwanz. Sie nahm noch mehr Ton dazu, presste den Körper zusammen und begann die Flügel herauszuziehen.
    „Mina ist zurzeit auf Vögel fixiert“, sagte Mrs McKee. „Manchmal sind es Lebewesen, die schwimmen, manchmal sind es Lebewesen, die durch die Nacht schleichen, manchmal sind es Lebewesen, die kriechen und krabbeln, aber jetzt gerade sind es Lebewesen, die fliegen.“
    Ich sah mich um. Ein Regal mit Tonfiguren stand dort, Füchse, Fische, Eidechsen, Igel, kleine Mäuse. Dann ein Kauz mit seinem großen runden Kopf, seinem spitzen Schnabel, seinen scharfen Krallen.
    „Hast du die gemacht?“, fragte ich.
    Mina lachte.
    „Sie sind ausgezeichnet“, sagte ich.
    Sie zeigte mir, wie der Ton zu formen wäre, wenn der Vogel fliegen würde, wie sie mit einem spitzen Messer die Federn hineinkerben könnte.
    „Wenn er einmal gebrannt und glasiert ist, werde ich ihn an die Decke hängen.“
    Ich nahm ein Stück Ton, rieb ihn zwischen den Fingern, rollte ihn zwischen den Handtellern. Er war kalt und körnig. Mina leckte einen Finger ab, rieb den Ton, zeigte, wie er glänzend und weich gemacht werden konnte. Ich beobachtete sie dabei, machte es ihr nach. Ich bearbeitete den Ton, zog ihn zur Form einer Schlange auseinander, drückte ihn wieder zusammen und formte einen kleinen Menschenkopf.
    Ich dachte an das Baby und fing an, es nachzuformen, seine dünne, zarte Gestalt, seine Arme und Beine, seinen Kopf.
    „Wie Zauberei, nicht wahr?“, sagte Mina.
    „Wie Zauberei, ja.“
    „Manchmal träume ich, sie so echt zu machen, dass sie wegspazieren oder aus meinen Händen fliegen. Arbeitet ihr in der Schule mit Ton?“
    „Manchmal. Einmal war ich in einem Kurs, da haben wir modelliert.“
    „Michael könnte doch ab und zu mit uns arbeiten“, sagte Mina.
    Mrs McKee schaute mich an. Ihr Blick war so durchdringend wie Minas, aber sanfter. „Ja, das könnte er“, sagte sie.
    „Ich habe ihm gesagt, wie wir über Schulen denken“, sagte Mina.
    Mrs McKee lachte.
    „Und ich habe ihm von William Blake erzählt.“
    Ich arbeitete am Baby weiter. Ich versuchte, seine Gesichtszüge zu formen. Unter meinen heißen Fingern fing der Ton an auszutrocknen. Er begann zu bröckeln. Ich suchte Minas Blick, ich wollte ihr mit den Augen ein Zeichen geben, dass wir gehen müssten.
    „Kann ich mit Michael einen Spaziergang machen?“, sagte sie sofort.
    „Ja. Wickle deinen Ton in Plastik ein, dann kannst du weiterarbeiten, wenn du zurückkommst.“

20
    Rasch gingen wir die Straße, in der wir wohnen, entlang, dann bog ich in den hinten vorbeiführenden Weg ein. Führte sie an den hohen Gartenmauern entlang.
    „Wohin gehen wir?“, fragte sie.
    „Nicht weit.“
    Ich sah auf ihr gelbes Oberteil und die Jeans.
    „Es ist dort schmutzig“, sagte ich. „Und es ist gefährlich.“
    Sie knöpfte ihre Bluse bis

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