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Zeit des Mondes

Zeit des Mondes

Titel: Zeit des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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zum Hals zu. Sie ballte die Fäuste.
    „Gut!“, sagte sie. „Weiter, Michael!“
    Ich öffnete unsere hintere Gartentür.
    „Hier herein?“, sagte sie. Sie starrte mich an.
    „Ja. Ja!“
    Ich stand mit ihr vor der Garagentür. Sie guckte in die Dunkelheit hinein. Ich hob das Bier und die Taschenlampe auf.
    „Die brauchen wir“, sagte ich.
    Ich nahm die Kapseln aus der Tasche.
    „Und die auch.“
    Ihre Augen wurden schmal und sie schaute direkt in mich hinein.
    „Vertrau mir“, sagte ich.
    Ich zögerte.
    „Es geht nicht bloß darum, dass es gefährlich ist“, sagte ich. „Ich habe Angst, dass du nicht sehen wirst, was ich zu sehen glaube.“
    Sie nahm meine Hand und drückte sie.
    „Ich werde sehen, was da ist, was immer es ist“, flüsterte sie. „Nimm mich mit.“
    Ich knipste die Taschenlampe an und ging hinein. Tiere kratzten und trippelten über den Boden. Ich spürte, dass Mina zitterte. Sie schwitzte an den Händen.
    Ich hielt ihre Hand fest. „Es ist alles in Ordnung. Bleib einfach nah bei mir.“
    Wir quetschten uns zwischen dem Abfall und den kaputten Möbeln durch. Spinnweben zerrissen auf unseren Kleidern und auf unserer Haut. Tote Schmeißfliegen blieben an uns hängen. Die Decke knarrte und von den morschen Balken fiel der Staub herab.
    Als wir uns den Teekisten näherten, begann ich zu zittern. Vielleicht würde Mina nichts sehen. Vielleicht hatte ich mich die ganze Zeit über nur getäuscht. Vielleicht waren die Träume und die Wirklichkeit nur ein bedeutungsloses Durcheinander in meinem Bewusstsein.
    Ich lehnte mich vor und leuchtete in den Raum hinter den Teekisten.
    „Schon wieder“, krächzte er.
    Ich hörte Mina einen Schrei unterdrücken. Ich spürte ihre Hand steif werden. Ich zog sie näher zu mir heran.
    „Ist schon gut“, flüsterte ich.
    „Ich habe meine Freundin mitgebracht“, sagte ich. „Wie ich versprochen habe. Das ist Mina.“
    Er wandte ihr den Blick zu, dann senkte er ihn wieder.
    Ich zeigte ihm das helle Bier.
    „Das habe ich auch noch mitgebracht.“
    Er lachte, aber er lächelte nicht.
    Ich zwängte mich zu ihm durch. Mit dem Flaschenöffner des Messers riss ich den Deckel von der Flasche weg und kauerte mich neben ihn. Er legte den Kopf zurück und ließ mich das Bier in seinen Mund gießen. Er schluckte. Ein bisschen davon tröpfelte ihm vom Mund auf den schwarzen Anzug.
    „Nektar“, flüsterte er. „Getränk der Götter.“
    Er legte den Kopf wieder zurück und ich goss noch einmal Bier in seinen Mund.
    Ich schaute zu Minas dunkler Gestalt, die auf uns herabsah, in ihr blasses Gesicht, auf ihren Mund und in ihre vor Erstaunen weit geöffneten Augen.
    „Wer bist du?“, flüsterte sie.
    „Herr Habe-Euch-Satt“, krächzte er.
    „Ich habe mit einem Arzt gesprochen“, sagte ich. „Nicht Doktor Tod. Einem, der dich heilen könnte.“
    „Keine Ärzte. Niemand. Nichts. Lasst mich in Ruhe.“
    „Du wirst sterben. Du wirst zu Grunde gehen und sterben.“
    „Zu Grunde gehen, zu Grunde gehen.“ Er legte den Kopf zurück. „Mehr Bier.“
    Ich goss Bier in seinen Mund.
    „Das habe ich auch noch mitgebracht“, sagte ich.
    Ich hielt ihm eine Lebertran-Kapsel hin.
    „Manche schwören darauf“, sagte ich.
    Er schnüffelte.
    „Fischgestank“, krächzte er heiser. „Glitschige, gleitende, schwimmende Dinger.“
    Ich hatte Tränen in den Augen. „Er sitzt hier einfach“, sagte ich. „Es ist ihm alles egal. Es ist, als ob er darauf warte zu sterben. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“
    „Tu nichts“, krächzte er.
    Er schloss die Augen und senkte den Kopf.
    Mina kam näher. Sie kauerte sich hin und starrte sein Gesicht an, das trocken und farblos wie Gips war, und die Schmeißfliegen und Spinnweben und die Spinnen und Käfer, die über ihn trippelten. Sie nahm mir die Taschenlampe ab. Sie beleuchtete seinen dünnen Körper in dem dunklen Anzug, die langen, auf dem Boden ausgestreckten Beine, die geschwollenen Hände. Sie hob einen der dunklen Fellbälle neben ihm auf.
    „Wer bist du?“, flüsterte sie.
    „Niemand.“
    Sie streckte die Hand aus und berührte seine Wange.
    „Trocken und kalt“, flüsterte sie. „Wie lange bist du schon hier?“
    „Lange genug.“
    „Bist du tot?“
    Er stöhnte.
    „Kinderfragen. Immer dasselbe.“
    „Erzähl ihr alles“, sagte ich. „Sie ist klug. Sie wird wissen, was tun.“
    Er lachte, aber er lächelte nicht.
    „Lass mich sie anschauen“, sagte er.
    Mina richtete die Taschenlampe auf ihr Gesicht,

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