Zeit des Mondes
Haut ab und klappe ihm die Brust auf.
„Ja“, sagte er. „Innen sind wir alle gleich, wie schrecklich das Äußere auch scheinen mag. Dies würden wir sehen, wenn wir unseren Mr Coot öffneten.“ Er lächelte.
„Natürlich könnte es ein bisschen unappetitlicher aussehen als auf dem Bild.“
Coot rannte zu seiner Bank zurück.
„Jetzt legt bitte eure Hände so auf die linke Brustseite. Fühlt euern Herzschlag …“
Wir spürten unsere Herzen. Ich wusste, wie dumm es wäre, Rasputin zu sagen, dass ich zwei Herzen spüren konnte: das des Babys und mein eigenes.
„Das ist euer Motor“, sagte Rasputin. „Es schlägt Tag und Nacht, während wir wach sind und während wir schlafen. Wir müssen nicht daran denken. Meistens sind wir uns dessen kaum bewusst, dass es überhaupt da ist. Aber wenn es zu schlagen aufhörte …“
Coot schrie, als ob er erwürgt werden würde.
„Richtig, Mr Coot.“
Rasputin schrie auch und fiel über sein Pult.
Ich sah mich um. Die halbe Klasse lag ausgestreckt über den Tischen und tat, als sei sie tot.
Leakey beobachtete mich. Ich merkte, dass er wieder mein Freund sein wollte.
In der Mittagszeit spielte ich im Hof Fußball, und zwar so hart wie möglich.
Ich griff laufend an und spielte Kopfbälle. Ich dribbelte und täuschte die Gegner und fing gefährliche hohe Bälle ab. Ich schoss vier Tore, dann noch einmal drei, und meine Mannschaft gewann hoch.
Als das Spiel zu Ende war, hatte ich einen langen Riss in meiner Jeans. Die Knöchel meiner linken Hand waren zerschrammt und zerschürft. Aus einer kleinen Wunde über dem Auge tropfte Blut.
Auf dem Weg hinein umringten mich die Jungs meiner Mannschaft. Sie sagten, ich hätte so gut gespielt wie noch nie. Und ich solle nicht mehr zu Hause bleiben. Sie brauchten mich.
„Regt euch nicht auf“, sagte Leakey. „Jetzt ist er wirklich wieder da, stimmt doch, Michael?“
Am Nachmittag hatten wir Miss Clarts. Ich schrieb eine Geschichte über einen Jungen, der ein verlassenes Lagerhaus am Fluss erforscht. Er findet einen verwahrlosten Landstreicher, der, wie sich herausstellt, Flügel unter seinem alten Mantel hat. Der Junge füttert den Mann mit Brot und Schokolade, und der Mann erholt sich. Der Junge hat eine Freundin, die Kara heißt. Der Mann zeigt dem Jungen und Kara, wie es ist zu fliegen, und dann verschwindet er, flattert über das Wasser davon.
Ich sah Tränen in Miss Clarts’ Augen, als sie neben mir saß und die Geschichte las.
„Das ist wunderschön, Michael“, sagte sie. „Dein Stil wird immer besser. Hast du zu Hause geübt?“ Ich nickte.
„Gut“, sagte sie. „Du hast eine echte Begabung. Arbeite daran.“
Kurz danach kam die Sekretärin, Mrs Moore, herein und flüsterte Miss Clarts etwas zu. Beide schauten sie mich an. Mrs Moore bat mich, einen Augenblick mitzukommen. Ich zitterte, als ich auf sie zuging. Ich legte die Hand auf die Brust und fühlte mein Herz schlagen. Sie führte mich durch die langen Gänge in ihr Büro. Mein Papa sei am Telefon, sagte sie. Er wolle mit mir sprechen.
Ich biss mir auf die Lippen, als ich den Hörer aufhob.
Ich hörte Papa atmen, seufzen.
„Es ist etwas mit dem Baby“, sagte ich.
„Ja. Etwas stimmt nicht. Ich muss ins Krankenhaus fahren, um mehr zu erfahren.“
„Etwas?“
„Eine Menge, Junge. Sie wollen ein Gespräch mit mir und Mama.“
„Nicht mit mir?“
„Ich habe mit Minas Mama gesprochen. Du kannst bei ihnen zu Abend essen. Du kannst dort warten, bis ich nach Hause komme. Ich werde nicht lange wegbleiben. Du wirst kaum merken, dass ich weg gewesen bin.“
„Wird sie gesund?“
„Sie glauben schon. Sie hoffen es. Heute Nacht wird jedenfalls nichts passieren. Sie werden es morgen machen.“
„Ich hätte zu Hause bleiben sollen. Ich hätte immer an sie denken sollen.“
„Ich gebe ihr einen Kuss von dir.“
„Und Mama.“
„Und Mama. Du bist sehr tapfer, Michael.“
Nein, das bin ich nicht, dachte ich, als ich spürte, dass ich zitterte. Nein, verdammt noch mal, das bin ich nicht.
34
Ich saß mit Mina am Küchentisch. Ihre Mutter stand am Tisch und schnitt grünen Salat, Tomaten und Brot. Auf dem Tisch verstreut lagen Papier und Farben. Mina hatte den ganzen Nachmittag über gemalt. Sie hatte kleine Farbstriche im Gesicht. Von ihren Fingern leuchteten helle Farbtupfer. Da lag eine große Zeichnung von dem aufrecht dastehenden Skellig mit seinen Flügeln hoch über den Schultern. Er schaute uns lächelnd an.
„Was, wenn
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