Zeit des Mondes
einer in den anderen geschlüpft, als ob wir eins geworden wären. Unsere Köpfe waren dunkel, dann waren sie so riesig und mondhell wie die Nacht. Ich konnte die Bodenbretter unter meinen Füßen nicht mehr spüren. Ich nahm nur noch die Hand in meinen Händen wahr, die Gesichter, die sich durch das Licht und das Dunkel drehten, und einen Augenblick lang sah ich geisterhaft Flügel auf Minas Rücken, spürte ich die Federn und zarten Knochen sich aus meinen Schultern erheben, und ich wurde mit Mina und Skellig vom Boden weg in die Luft gehoben. Wir drehten uns zusammen im Kreis durch die leere Luft dieses leeren Zimmers hoch oben in einem alten Haus in der Crow Road.
Dann war es vorüber. Ich fand mich zusammengesunken neben Mina auf den Bodenbrettern wieder. Skellig hockte neben uns. Er berührte unsere Köpfe.
„Geht jetzt nach Hause“, krächzte er.
„Aber was ist mit dir geschehen?“, fragte ich.
Er presste den Finger auf seine Lippen.
„Die Eulen und die Engel“, flüsterte er.
Er hob den Finger, als wir wieder zu sprechen anfingen.
„Erinnert euch an diese Nacht“, flüsterte er.
Wir schwankten aus dem Zimmer. Wir stiegen die Treppen hinab. Wir gingen durch die GEFAHR -Tür in die Nacht hinaus. Wir zögerten einen Augenblick.
„Hast du das auch erlebt?“, flüsterte ich.
„Ja. Wir alle haben es erlebt.“
Wir lachten. Ich schloss die Augen. Ich versuchte noch einmal die Federn und Knochen von Flügeln an meinen Schultern zu spüren. Ich öffnete die Augen, versuchte mich an die geisterhaften Flügel, wie sie aus Minas Rücken ragten, zu erinnern.
„Wir werden es noch einmal erleben“, sagte Mina. „Nicht wahr?“
„Ja.“
Wir eilten nach Hause. Dort, wo der hintere Weg anfängt, hielten wir noch einmal an, um Atem zu schöpfen. Da hörten wir Papa rufen: „Michael! Michael!“
Wir sahen ihn aus der Wildnis auf den Weg herauskommen. Seine Stimme war voller Angst.
„Michael! Oh, Michael!“
Dann sah er uns dort stehen, Hand in Hand.
„Michael! Oh, Michael!“
Er rannte auf mich zu und umarmte mich.
„Wir sind im Schlaf gewandelt“, sagte Mina.
„Ja“, sagte ich, als er mich festhielt, um mich zu schützen. „Ich wusste nicht, was ich tat. Ich habe geträumt. Ich bin schlafgewandelt.“
32
Doktor Tod sah mich über den Küchentisch hinweg an. Er berührte meine Hand mit seinen langen gekrümmten Fingern. Ich roch den Tabakduft, der ihn umgab. Ich sah die schwarzen Flecken auf seiner Haut. Papa erzählte ihm die ganze Geschichte: mein Verschwinden in der Nacht, mein Schlafwandeln. Ich hörte an seiner Stimme, wie ängstlich er noch immer war und dass er gedacht hatte, er habe mich verloren. Ich wollte ihm noch einmal sagen, dass es mir gut gehe, dass alles in Ordnung sei.
„Ich bin aufgewacht und wusste, dass er fort war. Ich wusste sofort, dass er fort war. Wenn man jemanden liebt, weiß man so etwas. So ist das, Dan. Nicht wahr?“
Doktor Tod versuchte zu lächeln, aber seine Augen blieben verständnislos und kalt.
„Und dieses Mädchen war bei dir?“, sagte er.
„Mina“, sagte Papa. „Sie sah ihn vom Fenster aus in der Nacht schlafwandeln. Sie kam ihm zu Hilfe. Das stimmt doch, Michael, oder?“
Ich nickte.
Doktor Tod leckte sich die Lippen. „Mina. Sie ist keine Patientin von mir“, sagte er. „Ich kenne sie nicht.“
Wieder versuchte er zu lächeln.
„Schlafwandeln?“, sagte er. Er zog die Augenbrauen hoch. „Und das ist wahr?“
Ich starrte ihn an.
„Ja. Das ist wahr.“
Er sah mich an. Er war kalt, trocken, blass wie der Tod. Nie würden Flügel auf seinem Rücken wachsen. Da war ich mir sicher.
„Lass mich dich untersuchen.“
Ich stand vor ihm. Er leuchtete mir mit einer sehr kleinen, aber hellen Taschenlampe in die Augen und spähte in mich hinein. Er leuchtete mir in die Ohren. Ich spürte seinen Atem und seinen Geruch überall um mich. Er hob mein Hemd hoch und presste sein Stethoskop an meine Brust und horchte. Ich spürte seine feuchtkalten Hände auf meiner Haut.
„Was ist heute für ein Tag?“, fragte er mich. „Und was für ein Monat? Wie heißt der Premierminister?“
Papa biss sich auf die Lippen, während er uns beobachtete und zuhörte.
„Braver Junge“, murmelte er, als ich die Antworten gab.
Doktor Tod tätschelte meine Wange.
„Gibt es irgendetwas, was du mir noch sagen möchtest?“, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf.
„Nur keine Angst“, sagte er. „Dein Papa und ich haben das schon hinter uns, was
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