Zeit des Verrats: Finnland-Krimi: Finnland-Krim
spindeldürr wirkten.
Der Passagier wartete in aller Ruhe, bis ihm der Schlag geöffnet wurde. Er war gut fünfzig, trug einen dunkelblauen Anzug und eine silbergraue Krawatte. Er erinnerte an einen italienischen Geschäftsmann oder Politiker, an einen Kriminellen auf jeden Fall. Seine Hände waren leer, er hatte keinen Aktenkoffer und keine Tasche, keine Mappe, nicht einmal einen Stapel Papiere. Nur eine Uhr mit Lederarmband, einen goldenen Ring und Macht.
Ich gab dem Mann die Hand und bat ihn ins Haus. Der Chauffeur blieb draußen, erwartete vielleicht, dass eine Zofe ihm eine Tasse Tee und eine warme Pirogge brachte. Doch ich war allein zu Hause, und Marja hätte Gästen aus der russischen Botschaft nicht einmal ein Glas Wasser angeboten. Sie verabscheute alle meine beruflichen Besprechungen, meckerte über den Zigarettengeruch, über den Schmutz, der aufs Parkett getragen wurde, und darüber, dass den Kindern die falschen Worte zu Ohren kamen.
»Wir können hier doch ungestört sprechen?«, vergewisserte sich der Mann, nachdem er auf dem Sofa im Wohnzimmer Platz genommen hatte. Ich setzte mich in den Sessel auf der anderen Seite des niedrigen Tisches.
»Ja.«
Der Mann sah mich lange an, strich sich über die kurzen, eng am Kopf anliegenden Haare und kam endlich zu dem Schluss, dass ich nicht die Absicht hatte, die Stereoanlage aufzudrehen oder Wasser laufen zu lassen.
»Mein Name ist Konstantin Maximowitsch Telepnew. Ich bin zweiter Legationssekretär. Oberst«, informierte er michüber seine beiden Positionen, die öffentlich sichtbare und die eigentliche.
Ich gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass ich verstanden hatte.
»Ich weiß es sehr zu schätzen, Viktor Nikolajewitsch, dass Sie uns Ihr Wissen oder Ihren Verdacht zur Kenntnis gebracht haben. So handelt ein wahrer Patriot«, sagte Telepnew, unterstrich seine hehren Worte, indem er sich ein wenig vorbeugte. Er legte die Hände auf die Knie und nickte beifällig. Ich überlegte, welches Vaterland er meinte.
»Ich will Ihre kostbare Zeit nicht unnötig in Anspruch nehmen, aber ich hoffe, dass Sie möglichst bald nach Moskau reisen können. Die Angelegenheit wurde sofort auf eine höhere Ebene weitergeleitet. An die Spitze.« Telepnew sprach immer langsamer. »Teilen Sie mir mit, wann Sie reisen können. Möglichst bald, hoffe ich. Jemand wird sich mit Ihnen treffen.«
Telepnew erhob sich und reichte mir eine Visitenkarte, auf der nur sein Name und eine Telefonnummer standen.
»Wer spricht mit mir?«, fragte ich.
»Sein Name ist Dolgich. Mehr brauchen Sie nicht zu wissen. Er erkennt Sie, Viktor Nikolajewitsch. Und nochmals besten Dank.«
Telepnew deutete eine knappe Verbeugung an und ging.
Das Handy klingelte. Onkel rief an.
»Mein Junge, wie ist das Wetter in Helsinki? Hier verwöhnt uns der Schöpfer mit Sonnenschein, es ist fast zu heiß«, eröffnete er das Gespräch, wartete meine Klagen über den Regen jedoch nicht ab. »Du kannst die Wünsche des Motorradclubs vergessen. Oder dir merken, dass die Leute dir etwas schuldig sind. Wir nehmen probeweise die Zusammenarbeit auf. Ichselbst mag ihre Sitten nicht recht. Oder ihre Unsitten«, wendete Onkel seine Sätze. »Aber wir wollen uns modernisieren und vernetzen. Mal sehen, wie es funktioniert. Wir haben uns direkt mit ihnen in Verbindung gesetzt, du brauchst dich also nicht mehr um sie zu kümmern. Ich hatte es so verstanden, dass du nicht einbezogen werden möchtest.«
Ich bestätigte ihm, dass er mich ganz richtig verstanden hatte. Es sei mir ohnehin gegen den Strich gegangen, den Laufburschen zu spielen. Onkel lachte, wurde aber sogleich wieder ernst.
»Deine zweite Angelegenheit. Das scheint tatsächlich ein Problem zu sein. Ein großes Problem. Ich habe mich bei unseren eigenen Kontakten in der Administration erkundigt und auch die Solnzewskaja Bratwa um Vermittlung gebeten …«
Ich wartete und hörte zu. Onkel hatte sämtliche Verbindungen spielen lassen, sowohl zu den Behörden als auch zur größten kriminellen Bruderschaft in Moskau. Onkel räusperte sich, legte dann offenbar die Hand über den Hörer. Bald darauf sprach er weiter.
»Alle wurden sehr ernst, als ich deine Informationen erwähnte. Sie wollen dich treffen, möglichst bald.«
»Hier in Helsinki? Oder in St. Petersburg?«
»Nein, Viktor. Im Zentrum. In Moskau. Möglichst bald. Sag mir Bescheid, wann du fahren kannst. Du hast eine Audienz.«
»Bei wem?«
»Der Kontaktmann heißt Dolgich. Keine weiteren
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