Zeit des Verrats: Finnland-Krimi: Finnland-Krim
Dimension entgleiten.
»Wronskij, erklär mir, was los ist«, drängte ich.
Er betrachtete seine Hände.
»Worum geht es? Sag es mir«, bat ich erneut.
»Ich kann nicht«, antwortete Wronskij leise.
Wir saßen einige Minuten schweigend da. Die Japaner standen auf und gingen hinaus. Die junge Frau an der Rezeption blätterte in ihren Papieren und verglich die Eintragungen mit den Daten im Computer.
»Verdammt noch mal, so kommen wir nicht zu Potte. Was planst du? Wer ist dein Arbeitgeber? Oder dein Befehlshaber? Oder machst du es für Geld?«, setzte ich ihm zu, bemühte mich aber, leise zu sprechen.
Wronskij blickte auf.
»Es tut mir leid. Ich kann es dir nicht sagen«, erklärte er ruhig und fest. »Glaub mir, Viktor. Ich kann nicht. Und für dich ist es auch besser, dass du nichts weißt. Aber in erster Linie schütze ich mich selbst.«
Die Aufzugtür öffnete sich. Ein altes Ehepaar kam heraus, der Mann hatte eine Kamera um den Hals und eine Karte in der Hand. Teppo Korhonen stand in der Kabine, sah geradewegs zu mir hin und vergewisserte sich, dass auch ich ihn sah. Dann glitten die Türen leise zu. Das rote Pfeildreieck zeigte an, dass der Lift nach unten in die Parkhalle fuhr.
»Zeit zu gehen«, sagte ich und überlegte gleichzeitig, wer gehen sollte und wohin. Und auf welchem Weg.
»Gibst du mir die Röhren?«, versuchte Wronskij es noch einmal.
»Nein.«
»Dann stecke ich in der Scheiße«, stellte Wronskij sachlich fest, ruhig und resigniert. »Aber vielleicht stände ich mit den Röhren auch nicht besser da.«
Ich erinnerte mich, blitzartig und deutlich, an einen Marsch während der Spezialausbildung. Wir stapften durch einen Sumpf. Arseni war schwer erschöpft, er schwankte und trat in einen Moortümpel, in dem er stecken blieb. Wir mussten ihn herausziehen, ihm Lasten abnehmen, bis er schließlich nur noch seine nassen Kleider zu tragen hatte. Sogar seine Kalaschnikow schleppte ich.
Ich hatte Arseni vor zwanzig Jahren nicht im Sumpf versinken lassen können, und ich konnte ihn jetzt nicht der Polizei und den Botschaftsspionen ausliefern. Nicht Wronskij. Und nicht Julija.
»Wartet hier!«, befahl ich. Dann folgte ich dem Touristenpaar zum Ausgang und versteckte mich hinter den Pfeilern, die das Vordach trugen. Ich wartete einen Moment, bückte mich und spähte auf Taillenhöhe an dem Pfeiler vorbei, ohne den Kopf zu bewegen. Meine Schläfe ragte nur einige Zentimeter über den Pfeiler hinaus.
Über den Bürgersteig vor dem Hotel gingen nur normale,eilige Helsinkier. Aber an der nächsten Hausecke, hinter dem Zebrastreifen und der Ampel, standen vier kräftige Männer. Sie trugen Anzughosen und Blousons, einer rauchte. Ich hätte meinen Platz im Himmel darauf verwetten können, dass sie Russen waren, aber ich bin nicht gläubig. Außerdem war mein Sündensack so schwer, dass mich wahrscheinlich eine andere Ewigkeit erwartete.
Die Männer der Sicherheitspolizei musste ich ein wenig länger suchen. Dann ging mir auf, dass der Mann, der gerade in Richtung Hauptpost vorbeigeeilt war, auf der anderen Straßenseite zurückkam. Er hatte einen Kopfhörer mit Handykabel am Ohr. Fünfzig Meter hinter dem Hoteleingang drehte der Mann sich um und marschierte erneut die Straße hinunter. Dabei blickte er eine Spur zu lange zu der Elchstatue vor dem Zoologischen Museum hinüber. Ich wartete. Hinter der Statue lauerten zwei dunkle Gestalten.
Ich schlüpfte zurück ins Foyer. Die japanischen Geschäftsleute waren offenbar in ihre Zimmer zurückgekehrt, aber Wronskij, Julija und Bekari standen da, wo ich sie zurückgelassen hatte. Die Rezeptionistinnen sahen mich an, lächelten unsicher. Ich nickte ihnen fröhlich zu und ging wieder hinaus.
Diesmal zeigte ich mich offen, wie ein Mann, der für alle Fälle seinen Fluchtweg überprüft, aber eigentlich nicht glaubt, dass ihm tatsächlich eine Gefahr droht. Ich starrte das Botschaftsquartett an. Die Männer wandten sich langsam ab, lachten laut, wir unterhalten uns nett miteinander und bald steigen wir ins Sammeltaxi und fahren nach St. Petersburg. Ich spazierte einige Meter hin und her und sah mich um.
Die Supo-Männer am Zoologischen Museum blieben in ihrem Versteck. Ein Stück weiter weg entdeckte ich zwei VW Golf am Straßenrand, einen weißen und einen roten. Beide hatten eine Antenne zu viel.
Ich wiederholte mein Absicherungsmanöver in aller Schnelle und kehrte ins Foyer zurück, mit zuversichtlicher Miene, wie ich hoffte.
»Gehen wir«, sagte ich
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