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Zeit des Zorn

Zeit des Zorn

Titel: Zeit des Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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damals noch Johnny - drei Jahre alt war, erteilte ihm sein Vater eine Lektion
in Sachen Vertrauen.
    John senior war
Gründungsmitglied der Association, einer legendären Gruppe von Laguna Beach Boys, die mit dem Schmuggel von Marihuana
Millionen Dollar verdienten, bevor sie die Kiste an die Wand fuhren und in den
Knast wanderten. Der große John hob den kleinen Johnny oben auf den Kaminsims
im Wohnzimmer, streckte die Arme aus und sagte: »Spring! Ich fang dich.«
    Fröhlich lachend sprang
der kleine Junge vom Kamin, woraufhin Big John die Arme sinken und den kleinen
Johnny mit dem Gesicht voran auf den Boden knallen ließ. Benommen, verletzt und
am Mund blutend, dort wo sich ein Schneidezahn in seine Lippe geschlagen
hatte, lernte Chon die Lektion, die sein Vater für ihn vorgesehen hatte:
    Vertrau niemandem.
    Niemals.
     
    Chon hat seinen Vater
nicht oft gesehen, seit der alte Herr seine vierzehnjährige Haftstrafe
abgesessen hat.
    John zog wieder nach Laguna, aber
zu dem Zeitpunkt war Chon schon bei der Navy, und irgendwie kamen sie einfach
nicht zusammen. Chon trifft ihn hin und wieder zufällig bei Starbucks oder im
Marine Room oder einfach so auf der Straße, und dann grüßen sie sich und
machen ein bisschen Smalltalk, gerade so viel, wie Chon hinbekommt, und das
war's dann.
    Es
gibt keine Feindschaft; nur eben auch keine Beziehung. Chon macht das nichts
aus. Er sehnt sich nicht danach.
    Chon denkt einfach, dass
sein Vater vor über zwanzig Jahren mit seiner Mutter gefickt und sein Sperma
getan hat, was Sperma gefälligst zu tun hat.
    Sein Vater kam auf seine
Kosten, ohne die Wochenenden auf Bolzplätzen, mit Angelausflügen oder
ernsthaften Vater-Sohn-Gesprächen verbringen zu müssen.
    Was die Gefickte angeht,
also seine Mom, so stand sie sehr viel mehr auf Dope als auf Chon, und auch das
kann Chon absolut nachvollziehen - er steht auch viel mehr auf Dope als auf
sie.
    Ben meint, Chon sei
aufgewachsen wie ein »Wolfsjunge«, nur dass Wölfe warmblütige Säuger sind, die
sich um ihre Jungen kümmern.
     
    Bens
Vorgeschichte.
    Der
verschollene Ben, der nur selten anwesende Ben.
    Fangen
wir mit dem genetischen Material an ...
    Bens
Vater ist Psychiater, seine Mutter auch.
    Könnte man behaupten, er
sei in einem überanalysierten Zuhause aufgewachsen? Jedes Wort wurde auf die
Waagschale gelegt, jede Handlung interpretiert, jeder Stein auf der Suche nach
einer unterschwelligen Bedeutung umgedreht.
    Am meisten sehnte er sich
nach Ungestörtheit.
    Er liebte seine Eltern
(und liebt sie immer noch). Sie sind gute, herzliche, fürsorgliche Menschen.
Linke, die aus linken Familien stammen. Seine Großeltern waren jüdische New
Yorker Kommunisten, unbelehrbare Verteidiger Stalins (»Was hätte er denn sonst
tun sollen?«), die ihre Kinder (Bens Eltern) ins sozialistische Sommerlager
nach Great Barrington in Massachusetts schickten, wo diese sich kennenlernten
und schon früh auf der Grundlage gemeinsamer sexueller Erfahrungen sowie linker
politischer Überzeugungen eine Beziehung aufbauten.
    Bens Eltern zogen von
Oberlin nach Berkeley, rauchten Pot, warfen LSD ein, stiegen aus, stiegen
wieder ein und landeten in Laguna Beach, wo sie jeweils eine
lukrative psychotherapeutische Praxis betrieben.
    Und zu den wenigen dort
ansässigen Juden zählten.
    (Eines Tages ließ sich
Chon darüber aus, dass er einer der wenigen (ehemaligen) Militärangehörigen in Laguna Beach
sei, und Ben hatte Lust, was dagegenzuhalten.
    »Weißt du, wie viele
Juden es in Laguna gibt?«, fragte er.
    »Ist deine Mutter
Jüdin?«, fragte Chon.
    »Ja.«
    »Drei.«
    »Genau.«
    Ben wuchs mit Pete
Seeger, beiden Guthries, Joan Baez und Dylan auf. Seine
Eltern hatten Commentary,
Tikkun, The Nation, Tricycle und Mother Jones abonniert. Stan und Diane (sie hatten Ben gebeten,
sie beim Vornamen zu nennen) waren nicht bestürzt, als sie den
vierzehnjährigen Ben mit einem Joint erwischten - sie verlangten lediglich,
dass er in seinem Zimmer rauchte, und stellten ihm natürlich endlos Fragen: War
er glücklich? Unglücklich? Fühlte er sich fremd?
    Oder nicht? War in der
Schule alles okay? Verwirrte ihn die eigene Sexualität?
    Er war glücklich, fühlte
sich nicht fremd, hatte einen 1a-Notendurchschnitt und feierte heterosexuelle
Erfolge bei einer ganzen Reihe einheimischer Mädchen.
    Er wollte nur ab und zu
mal high sein.
    Hört auf, alles zu
analysieren.
    Ben wuchs privilegiert,
aber nicht wohlhabend auf.
    In einem schönen, aber
nicht luxuriösen Haus

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