Zeit Des Zorns
Hauptstadt, ein Gipfeltreffen der Weltbank in Barcelona musste annulliert werden. Es wuchs die Hoffnung, die kapitalistischen Gesellschaften menschlicher zu machen.
Aber Göteborg war nicht das Ende der Aufbruchphase. Es sollte noch härter kommen, nur vier Wochen später in Genua. Und dann am 9. September 2011 veränderte sich die Welt durch die Anschläge auf die Twin Towers in New York noch einmal. Die Herrschenden in Schweden und Italien, die politischen Eliten und Apparate, die die Gipfel trugen, mussten sich niemals wirklich verantworten. Die hinter ihnen stehenden Kapitalfraktionen ohnehin nicht.
7 Der schleichende Faschismus
Wenn schon die Krise von 2001 derart autoritäre Entwicklungen in einer bürgerlichen Demokratie wie Schweden ausbrechen lassen konnte, wie stellte sich die Lage für kritisch denkende Menschen erst dar, wenn eine Weltwirtschaftskrise sich voll entfalten würde? Die Ereignisse von Göteborg und Genua geben aus Sicht des Jahres 2012, des sechsten Jahres der Weltwirtschaftskrise, frühe und oftmals unterschätzte Hinweise auf heutige Zeiten.
* * *
Ende der 1960er Jahre fürchtete der linke Verleger Giangiacomo Feltrinelli, dass Italien kurz vor einer faschistischen Machtübernahme stünde, weil sich die Zahl der rechtsextremen Sprengstoffanschläge auf zivile Einrichtungen häufte. Feltrinelli, der aus einer reichen Familie stammte, Kommunist geworden war, aber die KP Italiens wegen ihrer Orthodoxie verlassen hatte, war der erfolgreiche Verleger von Boris Pasternaks Dr. Schiwago und von Che Guevaras Bolivianischem Tagebuch , das ihm sein Freund Fidel Castro überlassen hatte.
Feltrinellis Ängste waren nicht unbegründet: Italien war bis Mitte der 1970er Jahre die einzige bürgerliche Demokratie in Südeuropa. Spanien war seit dem Bürgerkrieg eine Diktatur unter General Franco, bis der 1975 starb. In Portugal beendete erst die Nelkenrevolution von 1974 die Diktatur unter Salazar bzw. Caetano. In Griechenland hatte sich 1967 eine folternde und mordende Militärjunta an die Macht geputscht (bis 1974).
Auch für Linke in der Bundesrepublik war die Tatsache, dass diese Diktaturen von allen Bonner Regierungen unterstützt und von den USA maßgeblich gefördert wurden, eine ernste Bedrohung.Der Hass, der auch auf die neue Linke in der alten Bundesrepublik niederprasselte, die Notstandsgesetze, der Krieg in Vietnam, die Junta in Griechenland – all das verursachte nicht nur bei Ulrike Meinhof 1967 den Eindruck einer realen Bedrohung. Wie jede Linke kannte sie die Drohung: »Euch sollte man vergasen!« Ihr Freund Feltrinelli hatte ihr seine Furcht vor einer faschistischen Machtübernahme in Italien ausführlich begründet. In einem Text für die Zeitschrift Konkret verglich Meinhof die Situation in Griechenland mit der Lage, die sich in der Bundesrepublik durch die geplanten Notstandsgesetze einstellen konnte.
Dieser Artikel für die Juni-Ausgabe erschien Ende Mai 1967. Sie schrieb darin: »Die Unterschiede rühren daher, dass die einen den Notstand schon durchführen, indes die anderen ihn erst planen.« Dass CDU, SPD, FDP, NATO und die USA die griechische Junta unterstützten, ließ Meinhof schlussfolgern: »Hätten wir eine Opposition mit politischer Alternative und Wahlerfolgen – das griechische Beispiel beweist, dass ihre Beseitigung nicht nur möglich ist, sondern auch reibungslos geht, (…) in bestem Einvernehmen mit allen Bündnispartnern. Ein paar Panzer, ein paar tausend Inhaftierte, das Parlament in Bonn kann bleiben. (…) Einige Demokratien in Westeuropa sind Kartenhäuser. Will man sie benutzen, stürzen sie ein.« 252 Sie verglich die Situation der griechischen und der westdeutschen oppositionellen Jugend. »Die Polemik von Politikern und Presse gegen politische Studentengruppen in der Bundesrepublik und West-Berlin unterscheidet sich nur insofern vom griechischen Beispiel, als sie noch nicht mit Waffengewalt vorgetragen wird.« 253
Ein paar Tage später, am 2. Juni 1967, wurde der Student Benno Ohnesorg in Westberlin von dem Polizisten Karlheinz Kurras durch einen Schuss in den Hinterkopf ermordet. Viele Polizistenkollegen beglückwünschten den Täter und freuten sich bald, dass er keinen Tag im Gefängnis sitzen musste.
Feltrinelli gab seinen Verlag und seine bürgerliche Existenz auf und ging in den Untergrund, wo er 1972 in der Nähe Mailands bei einem unaufgeklärten Sprengstoffanschlag starb. Auf gewisse Weise erfüllten sich seine Ängste. Italien ist
Weitere Kostenlose Bücher