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Zeit Des Zorns

Zeit Des Zorns

Titel: Zeit Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ditfurth
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zwar kein im klassischen Sinne faschistisches Land, aber dort herrschen heute Rechtskonservativein feinen Maßanzügen und -schuhen. Rechte und rechtsextreme politische Parteien, Geheimdienste, Staatsschutz, Teile der Justiz und der Polizei sind ein gegen die linke Opposition verschworener Block. Hinter der jahrelangen oberflächlichen Kritik an Berlusconi, hinter falschen Haaren und Sexpartys, verschwand dieses System. Die herrschenden italienischen Kreise konnten sich bei großen Ereignissen auch auf Deutschland verlassen.
    Beim G8-Gipfel vom 18. bis 22. Juli 2001 in Genua zeigte sich, welches gewalttätige und faschistische Potenzial in EU-europäischen Staaten gedeihen kann. Es ist nicht schwer, aus den im Folgenden geschilderten Ereignissen Schlussfolgerungen für gegenwärtige und kommende Auseinandersetzungen zu ziehen.
    * * *
    Am 18. Juli 2001 stand ich auf dem Flughafen Tegel in Berlin und hatte ein Problem. Für meine Ulrike-Meinhof-Biographie hatte ich Interviews zu führen und ein Archiv zu durchforschen gehabt, das hatte länger gedauert als geplant. Deshalb war ich zu spät dran für kollektive Bus- oder Zugfahrten zum G8-Gipfel, so versuchte ich einen Flug nach Genua zu bekommen. Unter den Gipfelgegnern würde ich dort Freundinnen und Freunde aus Deutschland, Griechenland, Frankreich und Italien treffen, irgendein Übernachtungsplatz würde sich schon ergeben. Aber es gab keine Flüge. Silvio Berlusconi, nach fünf Jahren Opposition nun zum zweiten Mal als Ministerpräsident im Amt, hatte den Flughafen von Genua geschlossen und auch den Bahnhof, als herrsche Krieg. Flüge nach Mailand, Turin oder Nizza gab es auch nicht mehr, von dort hätte ich ein Mietauto nach Genua nehmen müssen. Das war zu teuer.
    Italien war keine einsame autoritäre Insel. Nicht ein einziger EU-Staat würde sich nach den kommenden Ereignissen darüber beschweren, was in den folgenden Tagen in Genua geschah. 254 Die Nachbarstaaten Italiens waren von vornherein eifrig darum bemüht, potenziellen Gipfelgegnern jedwede Reisefreiheit zu rauben. Italien überwachte sämtliche Grenzen. Auch die österreichische Regierung setzte das Schengener Abkommen außer Kraft,sie kontrollierte Reisende an den Grenzen zu Deutschland und Italien auf der Suche nach möglichen G8-Gegnern. Die deutsche Bundesregierung – damals bestand sie aus SPD und Grünen – begrüßte die Maßnahme, das taten auch die spanische und die italienische Regierung. Man kann also annehmen, dass die Sache abgesprochen war.
    Der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein behauptete, solche Maßnahmen seien die »zwangsläufige Folge des linksextremistischen grenzüberschreitenden Gewalttourismus«, und er malte das Hetzbild von »kriminellen Extremisten, die politische Gipfeltreffen für ihre Verbrechen« nutzten. 255 Etliche deutsche Linke durften nicht nach Italien ein-, manche erst gar nicht aus Deutschland ausreisen. Es gibt längst neue Mauern, sie sind unsichtbar. Es gab auch keine Proteste der ach so fortschrittlichen SPD/Grüne-Bundesregierung zu hören, als die italienische Regierung ankündigte, sie würde ihre Polizei mit scharfer Munition ausrüsten.
    EU-Grenzen sind stets offen fürs Kapital, für Waren und für billige Arbeitskräfte. Für Menschen, die ihr Recht auf Demonstrations- und Versammlungsfreiheit wahrnehmen wollen, gilt das immer weniger. Repressive, gewalttätige Maßnahmen werden üblicherweise damit vorbereitet, dass es Medien gibt, die das Spiel mitspielen und schon im Vorfeld gegen die Demonstranten hetzen. Der Axel-Springer-Verlag ist seit Jahrzehnten dabei, wenn es gegen Linksoppositionelle geht. 2001 nun berichtete seine Welt am Sonntag von angeblichen Erkenntnissen italienischer Behörden, dass »die Politik-Hooligans« vorhätten, »einzelne Polizisten als Geiseln« zu nehmen, um sie anschließend als »menschliche Schutzschilde« einzusetzen. 256
    Die Genueser Zeitung Secolo XIX machte publik, dass die Behörden 200 »body bags« bestellt hatten, Leichensäcke, und dass ein 500 Quadratmeter großer Kühlraum als Leichenhalle angemietet worden war. 257 20 000 Polizisten und Militärs standen zum Einsatz bereit, 15 Armeehubschrauber, vier Militärflugzeuge. Vor der Küste lagen sieben Kriegsschiffe.
    Die Stadt Genua war mit meterhohen Zäunen mehrfach gespalten: Die rote Zone war totales Sperrgebiet, sie war groß und umfasstedas Stadtzentrum und den Hafen. Kein Staatsmann schrie: »Tear down that wall!« Die gelbe Zone

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