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Zeit Des Zorns

Zeit Des Zorns

Titel: Zeit Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ditfurth
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als 550 Festnahmen, zehn Abschiebungen per Charterflugzeug nach Hamburg, 51 Untersuchungshäftlinge, viele Gerichtsprozesse und sehr harte Gefängnisstrafen. 55 Gipfelgegner wurden verurteilt, 41 zu Haftstrafen, der Rest zu sonstigen Strafen wie Arbeitsstunden. Der Anklagevorwurf war in den meisten Fällen der »våldsamt upplopp«, der »besonders schwere Landfriedensbruch«. Die durchschnittliche Haftstrafe lag bei 13,6 Monaten, die härtesten Haftstrafen betrafen zwei Leute und beliefen sich auf zwei Jahre und sechs Monate. In sieben Fällen wurden die Angeklagten freigesprochen oder das Verfahren eingestellt.
    Damit galten die »Taten« nicht mehr als geringfügige oder als Ordnungswidrigkeiten. Das Oberste Gericht in Stockholm überprüfte im Januar 2002 einige der noch nicht rechtskräftig gewordenen Göteborg-Urteile, aber nur das Strafmaß und nicht die Beweissituation oder die Urteilsbegründung. In einigen Revisionsverfahren wurde die Haftdauer gesenkt. Indem sie nicht in Frage gestellt wurden, wurden gleichzeitig aber auch die Urteilsbegründungen, die ja teilweise auf Falschaussagen und auf manipulierten Beweismaterialien beruhten, höchstinstanzlich gerechtfertigt.
    Die Medien, die das Infotelefon als »Zentrale des Terrors« vorverurteilt hatten, waren erfolgreich. Vor Gericht malte die Staatsanwaltschaft das Schreckensbild an die Wand, beim Infotelefon habe es sich um eine gleichsam militärische Organisation gehandelt. Die acht jungen Leute, die das Infotelefon betrieben und SMS verschickt hatten, wurden zu Freiheitsstrafen von drei bis vier Jahren verurteilt. Mit ihren SMS-Nachrichten hätten sie gewalttätigeAusschreitungen unterstützt. Der Fall kam viermal vor Gericht, hinauf bis zur höchsten Instanz. Aus dem Vorwurf der Anstiftung zum schweren Landfriedensbruch wurde Beihilfe zu schwerem Landfriedensbruch. Am Ende wurden die Angeklagten zu Gefängnisstrafen zwischen vier und 21 Monaten verurteilt. »Alle sind«, sagte mir der schwedische Schriftsteller Jörgen Gassilewski 2008, »durch die Zeit der Untersuchungshaft und im Gefängnis mehr oder weniger traumatisiert.«
    * * *
    Die Göteborger Ereignisse haben auch gezeigt, wie schnell Grenzen zu schließen sind – mehrere Busse mit Demonstranten durften erst gar nicht einreisen – und wie grenzenlos die Kooperation der europäischen Polizei- und Strafbehörden ist. Es ist zum Beispiel im Falle deutscher Demonstranten möglich, sofern die vorgeworfene Handlung in beiden Ländern strafbar ist und in gleicher Maximalhöhe bestraft werden kann, dass die Göteborger Staatsanwaltschaft Anklage erhebt und diese dann an das schwedische Justizministerium weiterleitet, welches die Anklage schließlich den zuständigen Behörden zum Beispiel in Deutschland überstellt.
    Im Mai 2002 erklärte die Göteborger Staatsanwaltschaft, dass gegen 18 Ausländer, darunter sieben Deutsche, in ihren Herkunftsländern Anklage erhoben werden würde. Die deutschen Behörden, darunter das LKA Berlin, nahmen eigene Ermittlungen gegen mindestens elf Personen auf, darunter auch gegen solche Demonstranten, die auf ihrer Reise weder kontrolliert noch in Göteborg in Gewahrsam genommen worden waren. Man »identifizierte« sie auf Fotos oder Filmen.
    Ab August 2002, mehr als ein Jahr nach dem Gipfel – die deutschen Demonstranten aus Göteborg hatten von den Ermittlungen gegen sich nichts gewusst und vieles vielleicht längst vergessen –, kam es zu ziemlich ruppigen Hausdurchsuchungen und Vorladungen in Deutschland. Die Anwälte der Beschuldigten erhielten keinen Zugang zu den vollständigen Ermittlungsakten der schwedischen Behörden, wo sie vielleicht auch entlastendes Material hätten finden können. Im März 2003 wurde, nach einer solchenHausdurchsuchung, zum Beispiel Timm E. in Berlin wegen schweren Landfriedensbruchs zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Wegen angeblicher Fluchtgefahr saß er 34 Tage in Untersuchungshaft: täglich eine Stunde Hofgang, im Monat nur zweimal 30 Minuten Besuch, Nazis in seiner Zelle. Die Fluchtgefahr wurde damit begründet, dass er sich ja schon einmal im Ausland, nämlich in Göteborg, aufgehalten hatte.
    Schuldig gesprochen zu werden hieß auch, enorme Kosten aufgebürdet zu bekommen. Wohl um die jungen deutschen Angeklagten mit hohen Geldforderungen sozial zu schädigen, mussten sie, sobald sie ein Verfahren verloren hatten, Tausende von Euro an unsinnigen Reisekosten für Polizeizeugen aus Schweden übernehmen, deren Aussagen

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