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Zeit Des Zorns

Zeit Des Zorns

Titel: Zeit Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ditfurth
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Richter über ihnen außer den eingesetzten Behörden, der Polizei und ihrem eigenen Gewissen. Wenn sie Gewalt anwenden, beginnen sie keine neue Kette von Gewalttaten, sondern zerbrechen die etablierte.« 373
    Fritz Bauer kommentierte exakt diese Aussage Marcuses so: »Das ist ganz in Übereinstimmung mit dem, was Gemeingut der Rechtsgeschichte ist.« 374
    * * *
    Mit der Außerparlamentarischen Opposition (APO) von 1964 bis 1968 gelang es, die herrschende Ordnung durcheinanderzuwirbeln. Den Klugen in der APO war damals klar, dass sie nicht nur an der Oberfläche der gesellschaftlichen Ordnung kratzten, sondern dass ihre Gegner in Staat und Kapital sehr viel beunruhigter waren, als sie eingestanden. Überraschenderweise wurde das 40 Jahre später noch einmal deutlich, da war zu spüren, dass nicht nur die katholische Kirche in Frankreich den Mai 1968 »als Katastrophe fast schon in den Ausmaßen der Großen Revolution erlebt« hat. 375 In Deutschland sollte 2008 das 40. Jubiläum von »68« angeblich gewürdigt werden. Es wurde, von Ausnahmen abgesehen, eine einerseits verniedlichende und andererseits denunziatorische Kampagne. Angesichts der aufkommenden Weltwirtschaftskrise und möglicherweise unberechenbarer Zeiten hatten die Macher der herrschenden Meinung kein Interesse an einer positiven kollektiven Erinnerung an einen der wichtigsten politischen Kämpfe der Nachkriegszeit.
    Anlässlich der Konstituierung der großen Koalition 1966 hatte Rudi Dutschke auf einer Versammlung des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) zur »Außerparlamentarischen Opposition« aufgerufen. Später sagte er, dass die Revolte aber schon mit den Protesten gegen den Besuch des Diktators Moïse Tschombé 1964 in Westberlin begonnen hatte. Dass die SPD mit der CDU 1966 eine große Koalition einging und Willy Brandt (SPD) als von den Nazis Verfolgter Außenminister unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) wurde, der früher der NSDAP angehört hatte, war für die junge Linke Verrat. Willy Brandt verteidigte den Vietnamkrieg der USA, das vergrößerte die Kluft. Die älteren Linken erinnerten sich daran, dass die SPD ihre antimilitaristischen Positionen in den 1950er Jahren verraten, 1961 den SDS aus der Partei geworfen und 1968 den Notstandsgesetzen zugestimmt hatte.
    Zehn Jahre nach 1968 hatte es kein Jubiläum gegeben, da steckte der Linken noch der Deutsche Herbst von 1977 in den Knochen. Die brachiale Vorgehensweise der SPD/FDP-Regierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) gegen jede staatsunabhängige Linke, unter dem Vorwand der Verfolgung der RAF, ließ 1978 keinen Raum für sentimentale Erinnerungen.
    1988, 20 Jahre danach, gab es zum ersten Mal »Veteranentreffen«. »68« war schick geworden, die Zahl der 68er vermehrte sich nachträglich. Älter gewordene APO-Leute, viele in Parteien, Verbänden und Gewerkschaften etabliert, hielten Reden über ihre ruhmreiche Vergangenheit. Es waren auch gute Texte darunter. Ein Jahr später fiel die Mauer.
    Ich weiß nicht, wie viele 68er 30 Jahre nach der Revolte an der Legende mitstrickten, bei der Bundesrepublik handele es sich nun um eine nachhaltig zivilisierte Gesellschaft. Adenauer und Brandt hatten Diktatoren und Mörder empfangen, man hatte Kriege wie den in Vietnam gutgeheißen, hatte sich die Hände zwar mit Rüstungsgeschäften, aber noch nicht wieder in einem Krieg schmutzig gemacht. Aber ein Jahr nach dem 30. Jubiläum, im März 1999, zog Deutschland in seinen ersten Krieg nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Nicht einmal 50 Jahre hatte der Schwur »Nie wieder Krieg« gehalten. An der Spitze der Bellizisten standen auch frühere linke Jungsozialisten wie Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und ehemalige 68er wie die grünen Funktionäre Joseph Fischer und Daniel Cohn-Bendit. Ohne sie, etwa unter einer Kohl-Regierung, wären die Bomben auf Belgrad in der rot-grünen Wählerschaft nicht durchzusetzen gewesen. Das obszönste Argument war jenes von Joseph Fischer, dass Deutschland sich wegen Auschwitz am Krieg beteiligen müsse.
    Im 40. Jahr der Revolte, 2008, erlebten wir zum ersten Mal, dass sich frühere APO-Linke, gefördert mit Literaturpreisen und Bundesverdienstkreuzen, offen aggressiv und als Kronzeugen gegen die Linke auf die Seite der herrschenden Kreise schlugen.
    Linke machen Fehler, manchmal sogar böse Fehler. Hätten gewisse APO-Leute offen über die theoretischen und praktischen Fehler ihrer politischen Zirkel gesprochen, wäre das unter

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