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Zeit Des Zorns

Zeit Des Zorns

Titel: Zeit Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ditfurth
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weiten sich. Junge Leute wachsen mit einer anderen Wahrnehmung der Welt auf. Angesichts der tatsächlichen oder vermeintlichen Bedrohung ihrer sozialen Lage fliehen nicht alle in reaktionäres Denken, um im Rattenrennen vor allem nur sich selbst zu retten. Krisen bieten Chancen, kritisches Denken zu befördern. Und das müssen wir, denn es gibt keine Stagnation. Die Gegenseite zögert keine Sekunde. Es geht ums Ganze. Das Kapital nutzt die Krise, um sich aller Profitbeschränkungenzu entledigen: soziale und demokratische Menschenrechte (das, was davon noch übrig ist), Umweltanforderungen aller Art – freie Fahrt wie lange nicht mehr für ihre Gift- und Verseuchungsproduktion einschließlich einer Renaissance der radioaktiven Atomstromerzeugung. Eine Linke, die die Systemfrage nicht stellt und ihren Blick ausschließlich auf z.B. die Streichung von Studiengebühren, die Durchsetzung von Lohnerhöhungen als Inflationsausgleich oder die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze richtet, ist gescheitert.
    Der sich von Proletarisierung bedroht fühlende Teil der Mittelschicht möchte von der Welt des Proletariats nichts wissen. Es ist heute z.B. kaum noch vorstellbar, dass es in den 1980er Jahren radikale Linke und Sozialisten in den Grünen gegeben hat – alle sind zwischen 1989 und 1991 aus der Partei ausgetreten –, die sich auf Basis ihrer politischen Herkunft mit der »Zukunft der Arbeit« und mit den gesundheitlichen Arbeitsbedingungen in Fabriken befassten. Die neue Linke heute wird nicht weit kommen, wenn sie von den Bedingungen, unter denen die meisten Menschen leben und arbeiten, und von den Gewaltstrukturen, welche die Lohnarbeit bedeutet, nichts versteht. Der Blick auf die soziale Lage der arbeitenden Klasse in Deutschland zeigt nicht nur die alltäglichen Gewaltstrukturen der normalen Lohnarbeit und die Entwürdigung eines Heeres von Leiharbeitern. So wie große Vermögen häufig auf Arisierung, Krieg und Zwangsarbeit beruhen, profitieren Teile der Mittel- und Oberschicht heute – neben der ganz gewöhnlichen Ausbeutung von Lohnarbeit – von neuen Formen der Sklavenarbeit, der Dienste von Illegalen und von der Billigstarbeit in aller Welt.
    Es gibt keine gesellschaftliche Debatte über die Zerstörung der Gesundheit der Menschen durch ihre Arbeit, denn »sie sollen froh sein, dass sie welche haben«. Alle Ansprüche auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen haben sich in Luft aufgelöst. Bilder des 19. Jahrhunderts kehren zurück. In den Beobachtungen des jungen Friedrich Engels über Die Lage der arbeitenden Klasse in England spiegelt sich auch die Lage der arbeitenden Menschen in chinesischen Sonderwirtschaftszonen, von Müllarbeitern in afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanische Ländern wider,die ihre Gesundheit ruinieren, indem sie in Bottichen voller Chromfarbe waten, um Baumwolle oder Leder für den deutschen Markt zu färben, als Sklavenarbeiter feinste Schokolade herstellen oder für sich Ölreste aus rissigen Pipelines abzweigen, welche das Ackerland verseuchen, von dessen Früchten sie früher einmal lebten. Kapitalismus bedeutet die gleichmäßige Ruinierung aller Sinnesorgane und für so viele das Sinken ihrer Lebenserwartung. »Die Ökonomisierung der gesellschaftlichen Produktionsmittel, erst im Fabriksystem treibhausmäßig gereift, wird in der Hand des Kapitals zugleich zum systematischen Raub an den Lebensbedingungen des Arbeiters während der Arbeit, an Raum, Luft, Licht, und an persönlichen Schutzmitteln wider lebensgefährliche oder gesundheitswidrige Umstände des Produktionsprozesses, von Vorrichtungen zur Bequemlichkeit des Arbeiters gar nicht zu sprechen«, schrieb Marx. 369
    Vor gar nicht langer Zeit gab es die begründete Hoffung der abhängig Arbeitenden, dass sie endlich vom ungeheuren Zuwachs an Produktivität profitieren: Da gab es die Kampagne von fortschrittlicheren Gewerkschaftskreisen und der IG Metall für eine 35-Stunden-Woche. Beinahe niemand redet heute mehr darüber, ein auf absehbare Zeit verlorener Kampf. Eine Weltwirtschaftskrise hat mächtig viele Vorteile für das Kapital, jedenfalls für den Teil, der die Krise überstehen wird.
    Viele Menschen werden Abstieg, Armut, Angst und Diskriminierung nicht ertragen. Viele werden ausrasten. Auf irgendwelche Sachbearbeiter in Behörden einschlagen. Sich in den Alkohol flüchten. Sich selbst und ihre Angehörigen zerstören. Der Sicherheitsstaat wird sich weiter dagegen aufrüsten, Staat und Justiz werden mit Repression und

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