Zeit Des Zorns
Wegschließen antworten, am besten gleich für immer, in Heime, Psychiatrien und Knäste. Auch die heutige schäbige Behandlung der Heimkinder der 1950er bis 1970er Jahre ist ein Indiz dafür, dass sich in der Heimerziehung die schwarze Pädagogik von gestern wieder ausbreitet sowie die aus der NS-Zeit stammende Sicherheitsverwahrung bis ans Lebensende. Das sind die klassischen Reaktionsweisen inhumaner Gesellschaften. Die soziale Ordnung einer permanent mit Repressionen drohenden Gesellschaft ist eine Gefängnisordnung.
In Deutschland muss man auch mit einem weiteren Rechtsruck rechnen. Den misst man nicht, wie fälschlicherweise oft getan, allein am Anteil faschistischer und rechtsextremer Parteien, sondern am Abdriften der bürgerlichen Parteien nach rechts und z. B. an der Kumpanei der Staatsschutzorgane mit dem NSU.
Um »die da unten« ruhig zu halten, lassen sich Staat und Medien viel einfallen: Sozialterror, Kontrollen, Drangsalieren mit immer mehr Bürokratie, Angst machen, bedrohen, spalten, spalten, spalten. Der in Jahrhunderten geformte Untertanengeist ist Produkt und Garant von Herrschaft. Bevor die meisten Deutschen auf die Idee kommen, den Herrschenden in den Arsch zu treten, ziehen sie hundertmal schneller gegen sozial Schwächere los und am liebsten gegen Menschen nichtdeutscher Herkunft oder solche mit abweichenden Lebensformen. Rassismus ist ein extrem wirksames Gift.
Der 39-jährige Blumengroßhändler Enver S¸ims¸ek wurde 2000 vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ermordet. Der 49-jährige Siemens-Arbeiter Abdurrahim Özüdogˇru 2001. Der 31-jährige Süleyman Tas¸köprü, Obst- und Gemüsehändler, verblutete 2001 in den Armen seines Vaters. Habil Kiliç hatte den gleichen Beruf und starb 2001 an zwei Kopfschüssen. Mehmet Turgut, Dönerverkäufer, starb 2004 an drei Kopfschüssen. Ismail Yas¸ar, den Inhaber eines Döner-Kebap-Imbisses, töteten 2005 fünf Schüsse. Theodorus Boulgarides hatte seinen Schlüsseldienst gerade eröffnet, als der NSU ihn 2005 ermordete. 2006 starb Mehmet Kubas¸ik als vermutlich nächstes NSU-Opfer. Halil Yozgat starb in seinem Internetcafe an zwei Kopfschüssen, die 22-jährige Polizistin Michèle Kiesewetter 2007.
Niemand weiß, ob diese Liste vollständig ist. Die Opfer, die meisten nichtdeutscher Herkunft, galten in den Augen deutscher Behörden lange als selbst schuld an ihrem Tod. Die Sonderkommission der Polizei wurde nicht »Rassismus« genannt, sondern »Bosporus«. Den Familien wurden all die Jahre kriminelle Geschäfte und sogar organisierte Kriminalität unterstellt. Die Medien übernahmen alle rassistischen Vorurteile und beförderten die Ausgrenzung der Opfer und ihrer Familien mit Schlagzeilen wie: »Döner-Morde« ( Nürnberger Zeitung ), »Döner-Mörder« ( Frankfurter Allgemeine Zeitung ),»Döner-Killer« ( Bild, taz, Süddeutsche Zeitung ), »Wettmafia«, »Halbmond-Mafia«, »Mordserie Bosporus«. Der Spiegel schrieb noch im Februar 2011 von einer »düsteren Parallelwelt« und plapperte wie so oft nach, was ihm staatliche Behörden aus eigenem Interesse zuraunten: »Viele Fahnder der Sonderkommission sind […] davon überzeugt, dass die Spur der Morde in Wirklichkeit in eine düstere Parallelwelt führt, in der eine mächtige Allianz zwischen rechtsnationalen Türken, dem türkischen Geheimdienst und Gangstern den Ton angeben soll.« 370
So viel rassistisch durchtränkte Phantasie machte blind bei der Suche nach den »echt« deutschen Mördern, die auch durch die Hilfe deutscher Behörden hatten werden können, was sie wurden: von der staatlich finanzierten »Glatzenpflege«, jenen missratenen Projekten der »akzeptierenden Jugendarbeit« tumber Sozialpolitiker in den 1990ern, bis zur mit Hilfe von Staatsgeldern aufgebauten Nazi-Organisation Thüringischer Heimatschutz. Die NSU-Mörder kamen mitten aus Deutschland.
Im Juli 2012 war bereits der dritte Verfassungsoberschützer zurückgetreten. Noch ist nicht geklärt, welche genaue Rolle staatliche Organe bei der Finanzierung und Unterstützung des faschistischen Sumpfes spielten, aus dem die NSU-Mörderbande entsprang. Akten wurden geschreddert, Zeugen missachtet, wichtige Spuren »verschlampt«. Unglaubliche Zustände in den Geheimdiensten sind nur schemenhaft aufgedeckt. Alles legt den Verdacht nah, dass es in einflussreichen Stellen des deutschen Sicherheits- und Geheimdienstapparats, wie immer schon in seiner Geschichte, politische Kumpane der Neonaziszene gibt. Anders
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