Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Koppold
Vom Netzwerk:
Raserei auch Milla und mich abgehängt hatte, war ihm lange Zeit völlig entgangen.
    „Frau Baum.“ Eine rothaarige Sprechstundenhilfe mit kurzen Haaren erschien und nickte mir zu.
    Sie führte mich zu einer Kabine an der Längsseite der Praxis, die von außen einsichtig war. Nachdem sie mehrere Behältnisse voll Blut abgezapft hatte, bekam ich eine weiße Badekappe, an der unzählige bunte Drähte befestigt waren, auf den Kopf.
    „Mein Gott, ich sehe aus wie ein Affe, der in einem Versuchslabor gefangen gehalten wird!“, dachte ich schockiert und hoffte inständig, dass niemand, der mich kannte, vorbeikam. Auf meinen fragenden Blick erklärte mir die Arzthelferin, dass sie meine Gehirnströme messen würde. Anhand der Aufzeichnungen konnte man mögliche Gehirntumore grob lokalisieren und erfahren, ob ich zu Krämpfen neigte.
    Nach dieser demütigenden Untersuchung musste ich erneut zu Dr. Mertens.
    „Ich kann Sie beruhigen. Mit Ihrem Gehirn ist alles in Ordnung. Und anhand des Blutbildes kann ich feststellen, ob Ihr Anfall durch eine Störung der Schilddrüse hervorgerufen worden ist. Das Ergebnis liegt allerdings erst morgen vor“, eröffnete er den zweiten Teil unseres Gesprächs.
    „Und wenn ich keine Schilddrüsenstörung habe? Was fehlt mir dann?“
    „Lassen Sie uns das Ergebnis abwarten.“
    „Ich möchte aber eine Antwort.“ Ungeduldig tippte ich mit dem Fuß auf den Boden.
    Dr. Mertens seufzte. „Ich denke, dass Sie einen Panikanfall hatten. Sie sind zu streng zu sich, das habe ich Ihnen bereits bei Ihren letzten Besuchen gesagt. Sie wollen alles perfekt machen und Sie sind gestresst. In solchen Situationen genügt oft ein kleiner Auslöser, um eine Attacke auszulösen.“
    „Und was kann ich dagegen tun?“
    „Wenn alle organischen Faktoren ausgeschlossen werden können, wäre es gut, wenn Sie ein paar Sitzungen bei einer Psychotherapeutin ausmachen, damit der genaue Grund für Ihre Anfälle herausgefunden wird. Und lesen Sie sich diese Broschüre durch.“
    Er drückte mir ein dünnes weißes Heftchen mit der Aufschrift „Panikattacken – Symptome, Auslöser, Therapien“ in die Hand.
    „Ich werde Sie bis zum Ende der Woche krankschreiben.“ Er sah mich mitfühlend an. „Panikattacken sind nichts Außergewöhnliches. Fast die Hälfte aller Menschen hat sie mindestens einmal im Leben. Gefährlich werden sie nur, wenn sie Einfluss auf unseren Alltag nehmen.“
    Ich verließ sein Behandlungszimmer mit dem unguten Gefühl, dass er mich nicht ernst nahm. Ich hatte heute gleich zweimal gedacht, zu sterben, und er erzählte mir, ich sei zu streng mit mir und gestresst. Inständig hoffte ich, dass die Untersuchung meines Blutbildes mir eine schwere Schilddrüsenstörung bescheinigen würde. Von ihr wusste ich zumindest, dass sie mit ein paar Hormonen in den Griff zu bekommen war.

    Wenn meine Mutter sich wunderte, dass mein Vater nicht nur die Wocheneinkäufe, sondern auch Paul und mich mit nach Hause brachte, so ließ sie es sich nicht anmerken. Sie war aber auch viel zu sehr damit beschäftigt, Kalle Blomquist zu spielen und den Mord an ihren unschuldigen Hortensien aufzuklären.
    Als ich mich mit Paul auf dem Arm dem Haus meiner Eltern näherte, wackelte mir mein Großvater entgegen. Seitdem ihn seine langjährige Lebensgefährtin Ingrid vor einem halben Jahr wegen eines Seitensprungs rausgeschmissen hatte, wohnte er bei ihnen.
    „Bei uns ist heute was los!“, rief er mir fröhlich zu. „Es ist besser als Kino.“
    Ich drückte ihm einen Kuss auf seine faltige Wange und ging weiter.
    Milla hörte ich schon mehrere Sekunden, bevor ich sie sah. Wie ein Zerberus stand sie vor der Haustür und forderte fünf blonde, schmuddelige Kinder, die sich nur durch ihre Größe voneinander unterschieden, dazu auf, ihre Schuhe auszuziehen. „Wenn ihr euch weigert, muss ich zu euren Eltern gehen!“, zeterte sie.
    Mit ihren 1,75, das Metermaß drohend erhoben, sah sie wahrhaftig eindrucksvoll aus. Doch die Aibl-Kids waren aus dem Fernsehen wohl schlimmere Kreaturen gewöhnt. Sie blickten kurz auf meine Mutter, dann auf ihre löcherigen Schuhe und rannten in alle Richtungen davon. Ein kleiner Junge mit Rotznase und zwei verschiedenfarbigen Socken drehte sich noch einmal nach ihr um und zeigte ihr eine lange Nase. Der fette, inkontinente Familienhund hoppelte seinen Besitzern nach und hinterließ dabei eine Pippi-Spur.
    „Sodom und Gomorrha“, seufzte Milla später beim Abendessen. „Würden wir in

Weitere Kostenlose Bücher