Zeit für Eisblumen
überlebt zu haben?
Mit zitternden Händen machte ich einen Waschlappen nass und presste ihn auf die Stirn. Zwang mich ruhig ein- und auszuatmen. Kämpfte mit aller Macht gegen die drohende Bewusstlosigkeit an. Doch die Flipperkugel tobte weiter, der schwarze Sog zog mich unaufhörlich nach unten. Ich musste Hilfe holen. Schnell!
Auf wackeligen Beinen lief ich ins Schlafzimmer, wo Sam sich ein frisches Shirt anzog.
„Sam! Ich habe einen Gehirnschlag oder etwas Ähnliches“, stieß ich hervor, bemüht, in dieser absurden Situation Haltung zu bewahren. „Kannst du bitte den Notarzt rufen?“
Paul kam auf mich zu gekrabbelt und zog sich an meinen Rock hoch. Er wollte auf den Arm genommen werden, doch ich reagierte nicht. Sam sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
„Bitte!“, flehte ich. „Ruf den Notarzt!“ Ich schüttelte Paul ab, der sofort anfing, zu protestieren und ließ mich auf das Bett sinken. Die Schwärze in meinem Kopf machte sich immer mehr breit, alles um mich herum drehte sich und die Wucht meines Herzschlages nahm mir den Atem. Ich zog meine zitternden Beine in einem Neunzig-Grad-Winkel zu mir heran und hielt sie nach oben. Wenn ich ohnmächtig wurde, hatte ich verloren. Ich musste aushalten, bis der Notarzt kam, um mir zu helfen. Doch von Sam kam keine Reaktion. Erst als Paul sich von mir abwandte und auf ihn zukrabbelte, löste er sich aus seiner Erstarrung und nahm ihn hoch.
„Du hast keinen Gehirnschlag“, sagte er verständnislos.
„Doch! Ich habe einen!“ Meine Stimme überschlug sich fast. „Ruf endlich einen Arzt!“
„Bestimmt nicht.“ Sam schüttelte den Kopf. „Der lacht dich nur aus. Ich gehe in den Biergarten. Bis ich zurück bin, hast du dich hoffentlich beruhigt.“
Er setzte Paul zu mir auf das Bett und verließ das Schlafzimmer. Kurz darauf schlug die Wohnungstür hinter ihm zu.
„Da!“ Paul zeigte nach draußen. Ich hob vorsichtig den Kopf an. Mein Herzschlag hatte sich ein wenig normalisiert. Auch das unkontrollierte Zittern von Armen und Beinen ließ nach. Langsam richtete ich mich auf. Ich traute dem Frieden nicht, wartete darauf, dass der Anfall erneut aufwallte. Doch nichts geschah.
Schwer atmend zog ich Paul auf meinen Schoß. „Was zum Teufel ist nur los mit mir?“, fragte ich ihn und er sah mich aus runden Augen an. „Mich so gehen zu lassen. Erst heute Mittag auf der Arbeit, nun vor deinem Papa. Früher wäre mir das nicht passiert.“ Paul strampelte mit Händen und Füßen. Ich kitzelte ihn unter dem Kinn und er begann zu kichern. Was war ich für ein Weichei! Ich sollte stark sein. Schließlich hatte ich ein kleines Kind, für das ich sorgen musste. Zugleich stieg Wut in mir auf. Auf Sam, dem es egal zu sein schien, wie ich mich fühlte. Der mich allein gelassen hatte. Schon wieder.
Stärke hin oder her. Jetzt brauchte ich erst einmal Hilfe. Wenn ich sie von meinem Freund nicht bekam, würde ich sie mir eben an anderer Stelle holen. Entschlossen ging ich in den Flur und griff nach dem Telefon.
„Neurologische Gemeinschaftspraxis Mertens und Schmitz, mein Name ist Aschenbrenner, was kann ich für Sie tun?“, fragte mich eine routinierte Frauenstimme am anderen Ende der Leitung.
„Felicitas Baum. Haben Sie heute noch einen Termin frei? Es ist ein Notfall.“
Anschließend rief ich meinen Vater an, der gerade beim Einkaufen war.
„Kannst du mich um halb fünf in Freising am Bahnhof abholen?“
„Was kann ich für Sie tun?“ Dr. Mertens schaute mich über seine randlose Brille hinweg an.
Ich schlug die Augen nieder. Bei meinem letzten Besuch war ich überzeugt gewesen, diese Praxis nie mehr betreten zu müssen. Und nun saß ich schon wieder hier. Der endgültige Beweis dafür, jemand zu sein, der sein Leben einfach nicht auf die Reihe bekam.
„Heute Mittag ist mir etwas Seltsames passiert“, begann ich und schluckte ein paar Male, da meine Stimme rau und belegt klang. Ich erzählte ihm davon, wie es mir während der Arbeit ergangen war. „Vielleicht hatte ich einen Gehirnschlag“, beendete ich meine Ausführungen.
„Wohl kaum. Denn dann würden Sie jetzt nicht vor mir sitzen.“ Dr. Mertens’ Mundwinkel zuckten leicht. „Erzählen Sie mir, wie es zu diesem Zustand kam.“
Obwohl ich nicht wusste, was es bringen sollte, berichtete ich ihm von meinem stressigen Morgen und der Hitze und Schwüle im Westpark. Dr. Mertens schrieb eifrig mit.
„Wie haben Sie sich während dieser ersten Attacke gefühlt?“
Wie ich
Weitere Kostenlose Bücher