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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Koppold
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ausziehen würde, sodass sie und Simon wieder reisen und tun und lassen konnten, was sie wollten. Trotzdem strahlte sie eine solche Lebensfreude aus und sah ihr Kind so voller Liebe und Stolz an, dass das Gefühl von Schuld, das ich vor Monaten resolut aus meinem Leben ausgegrenzt hatte, bei mir anklopfte und erneut um Einlass bat.

    „Habt ihr schon viel von Irland gesehen?“, erkundigte sich Maureen. Wir fuhren durch eine weite, karge Heide- und Moorlandschaft und neben den üblichen Schafen durchkreuzten immer öfter struppige weiß-graue Ponys unser Blickfeld. Ich schüttelte den Kopf.
    „Nein, bisher waren wir nur in Galway und einen Tag auf Achill Island.“
    „Auf Achill hat lange Zeit ein Landsmann von Ihnen gelebt“, warf Simon ein. „Heinrich Böll. Das Cottage, das er sich gekauft hat, gibt es heute noch.“
    Milla seufzte.
    „Wie lange bleibt ihr hier?“, fragte Maureen.
    „Vielleicht noch eine Woche oder zehn Tage. Wir haben uns noch auf keinen Rückflug festgelegt“, antwortete ich.
    „Ihr müsst euch unbedingt den Burren anschauen. Seine Mondlandschaft ist einzigartig. Und die Cliffs of Moher. Das sind die höchsten Steilklippen in ganz Europa. Im Süden müsst ihr durch den Ring of Kerry fahren. Auch Sligo im Norden ist wunderschön.“ Sie wandte sich an ihren Mann. „Wir haben doch noch genug Zeit, um kurz an der Kylemore Abbey anzuhalten. Das ist eine alte Abtei, die ganz verwunschen an einem See liegt. Die muss man einfach gesehen haben.“
    „Aber macht Ihnen das denn nicht zu viel Mühe?“, protestierte Milla. „Sie wollen doch sicher so bald wie möglich bei Ihren Eltern sein.“
    Simon lächelte. „Meine Frau hat während ihres Studiums als Reiseführerin gearbeitet. Sie tun ihr also einen Gefallen, wenn Sie sich von ihr herumführen lassen. Und wir haben wirklich noch ein wenig Zeit.“
    Eine halbe Stunde später kommandierte Maureen plötzlich: „So, jetzt bitte die Augen schließen.“
    „Warum?“ Meine Mutter blickte die junge Frau an, als hätte sie den Verstand verloren.
    „Weil wir uns gleich der Hauptzufahrt zur Kylemore Abbey nähern. Aber ein Parkplatz mit Kassenhäuschen und eine Touristinformation verderben den ganzen ersten Eindruck. Ein wenig weiter gibt es eine Stelle, von der man einen unverbauten Blick auf die alte Abtei hat.“
    Gehorsam schlossen Milla und ich die Augen und nach ein paar Minuten parkte Simon den Van seitlich an der Straße. Durch die Verästelungen der kahlen Zweige hindurch konnte man das Glitzern von Wasser sehen. Wir kletterten einen kleinen Abhang hinunter bis zu einer Bucht. Mir verschlug es den Atem. Maureen hatte nicht zu viel versprochen. Groß und majestätisch lag die Benediktinerabtei vor uns. Sie thronte am Fuß eines schwarzen Sees inmitten eines weitläufigen Waldgebietes. Nebelschwaden zerflossen über dem Gewässer und verliehen dem weißen Gebäude mit den verblichenen Mauern, den vielen Türmchen und den spitzen Zinnen etwas Gespenstiges, Überirdisches.
    „Wow!“, meinte meine Mutter schließlich, nachdem wir einige Minuten schweigend verharrt hatten.
    Maureen und Simon sahen sich zufrieden an. „Es gefällt Ihnen?“
    „Gefallen ist gar kein Ausdruck. So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Milla lächelte. „Hier ist alles so energetisch und auch ein bisschen magisch. Es würde mich nicht wundern, wenn sich gleich die Erde öffnet und ein Zwerg mit Spaten erscheint.“
    „Oder ein Engel an uns vorbeischwebt“, fügte ich sarkastisch hinzu.

    Etwa einen Kilometer weiter bat Maureen ihren Mann, in eine Seitenstraße abzubiegen. Sie wollte uns einen alten Friedhof zeigen.
    „Danach halte ich aber nicht mehr an“, verkündete Simon. „Sonst fährt der Bus in Clifden ohne die beiden los.“
    Er sah seine Frau liebevoll an und wir stiegen aus. Wieder einmal fiel mir diese unglaubliche Stille auf, die in Irland herrschte. In München war es niemals still, nicht einmal auf den Friedhöfen. Das Lärmen der Menschen, das Quietschen von Bremsen und das Surren der Trambahnen, das von der nahen Straße herüberdrang, legte sich wie eine dicke Smogschicht über die Gräber und erschwerte den Glauben daran, dass die Toten an einem solchen Ort ewige Ruhe finden konnten. Auf diesem Friedhof dagegen nahm ich Geräusche wahr, die sonst vom Lärmteppich der Großstadt verschluckt wurden: das Knistern der Blätter unter meinen Füßen, Maureens und Millas Atem und das Rauschen der Äste im Wind. Ich versuchte, die Inschriften auf

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