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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Koppold
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Busfahrer, ein älterer Mann mit Schiebermütze, öffnete die Tür und grinste uns an, wobei er weit auseinanderstehende Zähne sehen ließ. Wir stiegen ein und er setzte sein Gefährt in holprige Bewegung. Vorbei an niedrigen Reihenhäuschen, in leuchtenden Gelb-, Rot- und Blautönen gestrichen, passierten wir eine Kirche, aus der gerade die Besucher einer Messe strömten, und einen graublauen See, dessen Wasser so weit über die Ufer getreten war, dass es nicht nur den umgrenzenden Spazierweg überschwemmte, sondern an einigen Stellen bis fast auf die Straße reichte.
    Etwa zehn Kilometer außerhalb von Loughrea kam der Bus an einer Wegkreuzung plötzlich zum Stehen. Der Fahrer öffnete die Türen und sah uns abwartend an. Als Milla und ich nicht reagierten, sagte er: „Kylebrack. Sie müssen hier aussteigen!“
    „Aber hier ist nichts.“ Ich blickte mich um. Wiesen, Hecken, Steine, Schafe, in der Ferne ein kleines Wäldchen. Das einzige Zeichen der Zivilisation war ein Telefonmast, der etwas links von uns neben einer Steinmauer stand.
    „Sie müssen ein Stück die Straße entlanglaufen.“ Er zeigte an den Telefonleitungen entlang. „Dann sehen Sie schon die ersten Häuser.“
    „Aber warum bringen Sie uns nicht bis zu den ersten Häusern?“
    „Weil ich weiter nach Portumna fahre. Kylebrack liegt nicht auf meiner Route“, antwortete der Fahrer knapp.
    „Aber auf dem Fahrplan stand, dass sie in Kylebrack anhalten.“
    „Die Haltestelle heißt Kylebrack.“
    „Sie sagten, wir müssen ein Stück die Straße entlang laufen. Wie lang ist denn dieses Stück?“, hakte Milla nach.
    „In fünf Minuten sind Sie da.“ Der Fahrer legte den Finger auf den Türöffner, um uns zu demonstrieren, dass das Gespräch beendet war. Milla und ich zerrten Koffer und Kinderwagen aus dem Bus. Paul begann, leise zu weinen. Er rieb sich die Augen und lutschte an seinem Daumen. Ich kippte das Rückenteil seines Wagens ein wenig nach hinten und drückte ihm seine Stoffkuh in die Hand.
    „Dieses Kylebrack scheint ja ein wahnsinnig großer Ort zu sein. Und so zentral gelegen.“ Meine Mutter sah sich provozierend um.
    „Du den Kinderwagen. Ich die beiden Koffer.“ Ich war zu müde, um mich mit ihr auseinanderzusetzen. Zu allem Überfluss nieselte es inzwischen und die winzigen Tröpfchen legten sich wie ein nasser Schleier über Kleidung, Haut und Haare.
    „Es ist schon wieder so kalt“, schimpfte Milla. „Hattest du nicht gesagt, dass der Winter in Irland viel milder ist als in Deutschland?“
    „Ja, wegen dem Golfstrom“, sagte ich tonlos.
    Milla warf mir einen vernichtenden Blick zu. Sie zog sich die dicken Socken, die sie noch vom Vortag in ihrer Tasche trug, über die Hände. „Hier sieht mich sowieso keiner.“

    „Wir könnten trampen“, meinte Milla, nachdem wir einige Zeit gegangen waren und abgesehen von zwei an der Straße gelegenen Steincottages keine größere Häusergruppe passiert hatten. „Ach nein. Geht nicht. Hier fahren ja leider keine Autos.“ Sie lachte höhnisch auf. „Fünf Minuten. Dass ich nicht lache. Eine Viertelstunde sind wir unterwegs.“
    Ich zuckte mit den Schultern. Obwohl ich Hunger hatte und meine Beine wehtaten, war ich froh über diesen ungeplanten Aufschub. Klar, ich war David durch halb Irland gefolgt. Aber jetzt, wo ich wusste, dass ich ihm bald gegenüberstehen würde, bekam ich kalte Füße. Im wahrsten Sinne des Wortes. Haha! Ich verdrehte die Augen.
    „Wir sind sicher bald da“, versuchte ich Milla aufzumuntern.„Bestimmt kommt Kylebrack gleich nach dieser Kurve.“
    „Mit Sicherheit“, sagte Milla mit zusammengebissenen Zähnen. Hinter uns näherte sich Hufgeklapper. Wir drehten uns um. Der große, plüschige Kopf eines Esels erschien. Ein älterer Mann in Regencape und Gummistiefeln saß auf dem Kutschbock. Als er uns sah, zog er an den Zügeln und das klapprige Gefährt hielt an. „Wohin wollt ihr?“, fragte er und lächelte uns freundlich an. Sein wettergegerbtes Gesicht war von unzähligen Fältchen durchzogen.
    „Nach Kylebrack.“ Milla schaffte es nicht, den gleichen Enthusiasmus zu entwickeln wie bei Ernest und seinem Traktor einen Tag zuvor.
    „Kylebrack. Bis dahin ist es noch ein ganzes Stück. Soll ich euch mitnehmen?“
    „Aber für uns ist gar kein Platz!“ Die Abladefläche des Karrens war mit Brennholz beladen und der Kutschbock mit dem Mann alleine bereits ausgefüllt.
    „Eine von euch passt neben mich.“ Er klopfte auf die hölzerne Bank.

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