Zeit für Eisblumen
Tatsächlich! Der vorher noch so düster wirkende Raum sah ganz verändert aus. An die schmutzigen Fenster hatte Milla kurzerhand mit weißem Schneespray weihnachtliche Motive gesprüht, die kahlen Wände mit mehreren rotbeschleiften Kränzen aus Stechpalmenzweigen verschönert. Weihnachtskugeln, die wahllos von der Decke gebaumelt hatten, hingen nun gemeinsam mit silbernen Sternen an dem künstlichen Weihnachtsbaum und eine mit einer Lichterkette umwickelte Tannengirlande zog sich einmal um den ganzen Raum. Eine Duftlampe verströmte leckeren Plätzchengeruch.
„Schön“, gab ich widerwillig zu.
„Nicht wahr“, meinte Milla entzückt. „Hab ich alles in einer Kiste auf dem Dachboden gefunden.“
„Die Vorbesitzer müssen sie hier vergessen haben“, erklärte Ian. „Ich wusste gar nicht, dass ich so etwas besitze.“
Er ging zur Theke, tippte auf die Rübennase eines Schneemanns, sodass dieser „Jingle Bells“ sang. Sein dicker Stoffkörper wippte im Takt der Musik. Milla lachte und sah dabei unglaublich jung und glücklich aus. Ian starrte sie mit unverhohlener Bewunderung an. Es gab mir einen schmerzhaften Stich, als ich an meinen Vater dachte, der zu Hause saß, mit dem Golfschläger auf harmlose kleine Bälle eindrosch, Gartenzwerge golden ansprühte und nicht wusste, dass seine Ehe kurz vor dem Aus stand. Für einen Moment überlegte ich, ob ich ihn aufklären sollte. Doch was konnte ich sagen? „Du Papa, nachdem deine Frau mit einem Hotelier und einem Schafbauern herumgeturtelt hat, sitzen wir nun mitten im Nirgendwo und deine Frau bandelt mit einem Pubbesitzer an, der aussieht wie Keith Richards!“ Er würde denken, dass ich den Verstand verloren hatte.
„So, und jetzt brauche ich ein wenig Bewegung.“ Milla kam auf mich zugetänzelt und drückte mich an sich. „Hast du Lust auf einen Spaziergang?“
„Warum nicht?“ Ich schüttelte ihren Arm ab und ging nach oben, um Paul und mich in mehrere Schichten Kleider zu hüllen. Auch Milla tauschte Minirock und Stöckelschuhe gegen Jeans und Winterstiefel und wir machten uns auf den Weg.
Nachdem wir anderthalb Stunden durch die Walachei marschiert waren und Milla alles, was sie sah, begeistert kommentiert hatte – „Ein so kleiner Ort wie Kylebrack hat eine eigene Tankstelle!“, „Oh, schau nur. In diesem Shop gibt es selbstgebackenes Brot!“, „Der Hund da vorne, ist er nicht süß!“ und „Im Sommer, wenn es blüht, muss es hier traumhaft sein!“ – beschloss ich, ihre gute Laune auszunutzen und unterbreitete ihr bei unserer Rückkehr mein Anliegen.
„Ich soll schon wieder auf Paul aufpassen?“ Meine Mutter sah mich ungläubig an. „Aber du hast mir doch heute Morgen versprochen, dass es das letzte Mal sei. Ich habe schließlich auch Urlaub.“
„Aber du bist doch sowieso da“, erklärte ich ihr geduldig. „Und du musst doch überhaupt nichts machen. Nur das Babyphon nehmen. Für den Fall, dass Paul wach wird.“
„Woher willst du wissen, dass ich da bin?“ Milla stemmte die Arme in die Seite.
„Wo sollst du denn sonst sein?“, fragte ich nachsichtig.
„Vielleicht hat mich Ian ja gefragt, ob ich mit ihm ausgehe. In ein Restaurant in Loughrea. Das einem Freund von ihm gehört.“
„Das hat er garantiert nicht. Schließlich findet heute Abend das gesellschaftliche Highlight der Saison in seinem Pub statt. Der legendäre Karaoke-Contest. Da wird er wohl kaum weg können“, entgegnete ich.
„Doch, aber erst um halb zehn, ab dann schmeißen Cullen und zwei Aushilfen den Laden“, triumphierte sie. „Du musst dir also einen anderen Babysitter suchen, wenn du mit diesem David um die Häuser ziehen möchtest. Ich bin verabredet.“
„Du nimmst mich auf den Arm.“
„Nein. Warum sollte ich?“
„Um eine Ausrede zu haben, nicht auf Paul aufpassen zu müssen.“
„Ich bitte dich.“ Sie sah mich herablassend an. „Als ob ich die bräuchte. Wer ist denn seine Mutter? Du oder ich?“
„Du willst mit diesem abgewrackten Typen ausgehen?“
„Ja“, sagte Milla ungerührt. „Aber …“
Mein Handy läutete. Ich zerrte es hervor. Mias Name stand auf dem Display.
„Ja.“
„Fee, äh … bist du es?“ Mias Stimme klang ungewohnt sanft.
„Du rufst auf meinem Handy an. Mit wem hast du gerechnet?“, fragte ich mürrisch.
„Mit Milla, äh …, es hätte doch auch sein können, dass sie abhebt.“
„Möchtest du sie sprechen? Sie steht neben mir.“
„Nein. Wie geht es dir?“
„Was willst
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