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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Koppold
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war etwas verstimmt, dass David mich in das Gros der Touristen einreihte, doch ich kam nicht dazu, mich zu fragen, welchen Stellenwert er mir mit dieser Äußerung einräumte. Denn auf einmal lenkte er Maja zwischen zwei Bäumen hindurch in den Wald hinein. Harry folgte ihnen und mir schlugen Zweige ins Gesicht. Danach fiel der Weg steil ab. Über zum Teil kniehohe Baumstämme und Steine hinweg kletterten die Pferde den glitschigen Abhang hinunter. Matsch spritzte und ich verlor einen Steigbügel. Mehrere Male kam Harrys ins Rutschen und der Abgrund rückte drohend näher. Ich schloss die Augen. Meine Hände waren so verkrampft, dass ich sie kaum noch bewegen konnte und mit aller Macht klammerte ich mich mit meinen Oberschenkeln an seinen Sattel.
    „Das ist das allerletzte Mal, dass ich mir so etwas antue“, dachte ich. „Nie wieder werde ich auf ein Pferd steigen. Nie wieder! Es war eine Scheißidee, nach Irland zu fahren. Es war eine Scheißidee, David zu suchen. Ich will nach Hause!“ Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut zu schluchzen.
    Auf einmal bremste Harry abrupt ab. Mein Gesicht wurde in seine Mähne geschleudert. Ich zählte innerlich bis fünf, wischte mir den Dreck aus den Augen und öffnete sie wieder. David war abgestiegen, hielt Maja und Harry am Zügel. Die drei Mädchen ließen ihre Pferde ein paar Meter entfernt von uns grasen.
    Wir befanden uns auf einer kreisrunden Lichtung im Wald, umgeben von meterhohen verkrüppelten Bäumen, die nur in den Wipfeln noch vereinzelt Blattwerk hatten. Kein Windhauch regte sich. Außer dem gelegentlichen Prusten unserer Pferde war kein Geräusch zu hören. Die ganze Szenerie wirkte gespenstisch und wie eingefroren. Nur über einem etwa einen Meter hohen Hügel flirrte die Luft.
    „Was ist das?“, fragte ich und zeigte auf die grasbewachsene Erhebung.
    „Ein Elfenhügel“, antwortete David. „Hast du schon einmal davon gehört?“
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Darin wohnt das kleine Volk, so nennt man Elfen, Feen und Kobolde in Irland.“
    „Und daran glaubst du?“ Ich verzog spöttisch die Mundwinkel nach oben.
    „Natürlich. Wir Iren nehmen die Belange der Elfen ernst.“ Er wandte sich an seine Reitschülerinnen. „Nicht wahr?“
    Die Mädchen nickten.
    „In den 50ern wurde eine Startbahn des Flughafens Shannon anders verlegt als geplant, weil dafür ein Elfenhügel hätte zerstört werden müssen“, erklärte Marisa. „Denn wer die Ruhe der Elfen stört, wird bis Ende des Jahres eine böse Überraschung erleben.“
    „Wenn man sich mit den Elfen aber gut stellt, wird man reich dafür belohnt“, fügte ihre Schwester hinzu.
    „Inwiefern?“, fragte ich.
    „Mit Reichtum, Gesundheit, Glück in der Liebe. All so etwas. Unsere Mutter stellt den Elfen jeden Abend ein Schälchen mit Milch vor die Tür.“
    „Die Katzen in der Nachbarschaft werden sich freuen“, dachte ich, traute mich aber nicht, dies laut zu äußern.
    „Und einer Legende nach können diejenigen, die ein reines Herz haben, das Tor zu Anderswelt öffnen und mit den Elfen reden, wenn sie all ihre Liebe an die Erde abgeben“, sagte David.
    „Hast du sie auch um Rat gefragt, bevor du deine Karriere als Geigenspieler an den Nagel gehängt hast und unter die Pferdeknechte gegangen bist?“, fragte ich ihn zynisch.
    Doch David blieb gelassen. „Versuch es selbst, wenn du mir nicht glaubst. Oder traust du dich nicht?“, fügte er provozierend hinzu.
    „Hilfst du mir runter?“ Obwohl ich von der Reinheit meines Herzens nicht überzeugt war und von meiner Fähigkeit, all meine Liebe an die Erde abzugeben, schon gar nicht, erschien mir die Vorstellung, festen Boden unter die Füße zu bekommen, verlockend. Und wie ein Feigling dastehen, wollte ich auch nicht. David hielt mir seinen Arm hin und wenig elegant plumpste ich hinunter. Breitbeinig schwankte ich auf den Hügel zu. Wenn er und die Mädchen unbedingt wollten, dass ich mich zum Narren machte, bitte. Ich kauerte mich neben ihn, legte meine Hand auf die feuchte Erde und versuchte, alles, was ich an Gefühl aufbringen konnte, durch sie hindurch in den Boden dringen zu lassen. Ich kam mir albern vor, meine Beine schmerzten und zwischen meinen Zähnen knirschte es, aber so leicht würde ich mich nicht geschlagen geben. Ich dachte an Paul, wie er mich das erste Mal angelächelt hatte, an Helga, Mia und Lilly, an meinen Vater, an Nina und auch beunruhigend lange an Sam. Und ich war gerade dabei, mir zu überlegen, welche

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