Zeit für Eisblumen
„Fee?“
„Ja“, sagte ich schwach.
„Es tut mir leid, dass wir dir den Urlaub verdorben haben, aber wir dachten, du solltest es wissen, für den Fall, dass …“
„… ich Sam anrufe und ihn anflehe, dass er zu mir zurückkommt?“
„Ja.“
„… oder mich nachts in seine Schule einschleiche und Komm zu mir zurück! auf die Tafel schreibe?“
„Hast du etwa darüber nachgedacht?“, fragte Lilly verwirrt.
Ich ging nicht auf sie ein.
„… oder dass ich mich nackt ans Sendlinger Tor fesseln lasse und eine Fahne schwenke, auf der steht: Ich kann ohne dich nicht leben!?“
„Meine Güte, was hast du nur für Gedanken?“
„Kleiner Scherz.“ Ich schämte mich für meinen ungewohnt pathetischen Ausbruch. „Lilly?“
„Ja.“
„Hast du dir schon einmal den Scheiß, den ich beruflich mache, angeschaut?“
„Manchmal“, antwortete Lilly unsicher.
„Auch während meines Mutterschutzes?“
Sie zögerte. „Hin und wieder“, meinte sie kleinlaut.
„Könnte es sein, dass die Frau, die ihre Hand in der Gesäßtasche meines Freundes vergraben hat, die gleiche Frau ist, die während meines Mutterschutzes „Fees Welt“ moderiert hat? Du weißt schon! Diese Röstbratwurst. Die mit den Extensions, den Gemälden auf den Fingernägeln und der viel zu braunen Haut.“
„Ich befürchte schon“, murmelte sie unglücklich.
Mein Herz, dieses nervige Ding in meinem Brustkorb, flatterte wie die Flügel eines Kolibris. Ich konnte es nicht fassen. Dieser Tag war die Hölle. Und Sam ein Arschloch. Er hatte es also tatsächlich getan.
„Kannst du mir Mia geben?“, fragte ich Lilly. „Vielleicht sollte ich doch über ihr Angebot nachdenken.“
„Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist. Und Fee …“
„Ja.“
„Du weißt, dass ich immer für dich da bin. Du kannst mich immer anrufen. Egal zu welcher Tages- und Nachtzeit.“
Lilly reichte das Handy weiter.
„Noch einen!“ Ich schob Cullen das leere Whiskyglas rüber.
„Bist du sicher?“, fragte er mich besorgt. „Das wäre dein fünfter.“
„Natürlich.“ Ich merkte, dass ich leicht zu lallen begann, doch es war mir egal.
„Ich muss mich für das große Karaoke-Event doch in Stimmung trinken. – Und auf meinen Freund anstoßen, an den ich die besten Jahre meines Lebens verschwendet habe“, fügte ich in Gedanken hinzu. Vielleicht hätte ich Mia die Sache mit den Nacktfotos doch nicht ausreden sollen.
„Prost!“ Ich hielt mein Glas in Richtung der fülligen Dame, die auf dem Barhocker neben mir saß und mich mit angeekelter Miene musterte. Sie kehrte mir demonstrativ den Rücken zu. „Dann eben nicht.“
„Bist du sicher, dass die Bude heute Abend noch voll wird?“, fragte ich Cullen. „Bis jetzt ist euer Besucheransturm nicht besonders überwältigend.“
Ich blickte mich um. Die dicke Tante neben mir, Ian, ein Bauer im Flanellhemd und, zwei Tische weiter, ein paar mickrige Jüngelchen, die Karten spielten. Eine äußerst magere Ausbeute.
„Es ist erst halb acht. Und ich denke, dass du jetzt nichts mehr trinken solltest.“ Cullen nahm die betont ruhige Stimme eines Erwachsenen an, der seinem aufmüpfigen Kind erklärte, dass es heute Abend nicht mehr fernsehen dürfe.
„Einer geht noch!“, meinte ich.
Cullen schüttelte den Kopf und ich überlegte, was der Kunde ist König auf Englisch hieß. Doch es wollte mir einfach nicht einfallen. The Guest is King, the Client is King oder the Customer has always right? Keine Ahnung! Ich merkte, dass ich mich daneben benahm, aber auch das war mir egal. Mir war alles egal.
„Na gut, ich mache eine Pause.“ Ich griff nach dem Babyphon und erhob mich so schwungvoll, dass der Barhocker nach hinten umfiel und hilflos von einer Seite zur anderen rollte.
„Entschuldigung.“ Ich kicherte albern und stellte den Stuhl wieder auf. Dabei wäre ich fast selbst umgekippt. Die füllige Dame neben mir stand ebenfalls auf und suchte sich einen anderen Platz. Ian, der ein paar Meter weiter an der Theke saß und sich mit dem Bauern im roten Flanellhemd unterhielt, musterte mich besorgt, sagte jedoch nichts. Schade! In meiner derzeitigen Stimmung wäre er mir gerade recht gekommen!
Schwankend nahm ich meine Jacke und ging nach draußen, um frische Luft zu schnappen. Ich spazierte ein Stück die Straße entlang, blickte über den Wald hinweg zur Slieve Aughty Riding Ranch und ärgerte mich darüber, dass ich nicht mit David, seinen Kumpels und der schönen Eva zusammen nach Galway
Weitere Kostenlose Bücher