Zeit für Eisblumen
den Pub. Meine Mutter und Ian saßen beim Essen und verspeisten das geschmorte Kaninchen. Paul thronte neben ihnen auf drei Kissen und ließ sich von Ian mit Süßkartoffelpüree füttern. Wie ein kleiner Vogel öffnete er den Mund, sobald der Plastiklöffel sich ihm näherte, und wenn der Nachschub nicht schnell genug herangeschafft wurde, gab er ärgerliche Laute von sich.
„Ham, ham!“, forderte er und bedachte mich nur mit einem kurzen Lächeln. Dieser Verräter! Die Sachen, die ich ihm kochte, spuckte er mir meistens entgegen.
„Setz dich!“ Milla schob mir einen Stuhl hin und holte einen Teller für mich aus der Küche. Pikiert musste ich feststellen, dass sie einen fast schamlos kurzen Lederrock und hohe Schuhe trug und mit dem Holländer scherzte und lachte, als würde sie ihn schon ewig kennen.
„Ian hat Paul und mich heute Morgen nach Loughrea gefahren. Wir waren auf dem Markt einkaufen und sind ein Stück am See entlangspaziert. Dort gibt es sogar Geschäfte“, erzählte sie glücklich. „Und wie war dein Vormittag?“
„Gut“, antwortete ich kurz. „Ich bin mit David ausgeritten.“
„Ich dachte, du kannst Pferde nicht leiden.“ Milla riss verwundert die Augen auf.
„Natürlich kann ich sie leiden.“ Ich bedachte sie mit einem geringschätzigen Blick.
„Und wen bist du geritten? Den alten Harry?“, fragte Ian.
„Du kennst ihn?“
„Natürlich. Ganz Kylebreak und Umgebung hat auf dem Kerl reiten gelernt. Auch mich wollte Gina schon einmal draufsetzen. Aber in meinem betagten Alter sollte man lieber kein Risiko eingehen und auf dem Boden bleiben.“
„Ach Ian, in deinem betagten Alter. Sag doch nicht so etwas.“ Milla lachte affektiert. „Ein Mann in den besten Jahren.“
„Aber ich bin auch nicht mehr vierzig. So wie du“, entgegnete Ian und sah meine Mutter verschmitzt an.
Milla kicherte. „Vierzig. Sehe ich noch so jung aus?“ Sie fuhr sich durch die Haare. Dann betrachtete sie ihn nachdenklich. „Spielst du eigentlich Golf?“
Ich wandte mich ab und stopfte mir den Rest meines Kaninchens in den Mund. Dieses Geturtel war unerträglich. Seit wir in Irland waren, benahm sich meine Mutter wie ein pubertierender Teenager. Erst Bennett, der Hotelbesitzer, dann der Schafbauer Ernest und jetzt dieser vergammelte Typ. Entnervt zog ich meinen Sohn, der sich heftig die Augen rieb, aus seinem Hochstuhl.
„Ich lege mich mit Paul hin.“
„Aber es gibt noch Nachtisch“, warf Ian ein.
„Keinen Hunger“, murmelte ich unfreundlich.
In der Tür des Pubs stieß ich mit einem schlaksigen, sommersprossigen Kerl mit lackschwarzen Haaren zusammen. Er stellte sich mir als Cullen vor, Ians Partner. Milla schien er bereits zu kennen.
„Muss ich noch etwas besorgen?“, fragte er.
„Ja“, antwortete Ian. „Ruf Michael an und sag, er soll drei Fässer Guinness und zwei Fässer Cider vorbeibringen. Und noch fünf Flaschen Whisky. Heute Abend findet hier eine Karaoke-Veranstaltung statt“, erklärte er mir.
„Karaoke!“ Ich verzog geringschätzig den Mund.
„Kannst du singen?“, fragte Ian.
Eine Zeitlang hatte ich es geglaubt und eifrig an den Proben des Schulchors teilgenommen. Doch irgendwann hatte mein ehemaliger Musiklehrer Herr Kirsch gemerkt, dass das tiefe Brummen, das ihn schon seit längerem irritierte, aus meinem Mund kam und er hatte mich zu den Jungs in die Bass-Ecke gestellt.
Ich beschloss, Ians Frage zu ignorieren. „Und die Iren machen bei so etwas mit?“
„Ansonsten ist hier draußen ja nicht viel los“, entgegnete Cullen. „Du wirst sehen. Heute Abend werden sämtliche Einwohner von Kylebrack im Pub erscheinen.“
Ironisch hob ich eine Augenbraue. „Alle zehn?“
Als ich nach zwei Stunden Schlaf mit Paul nach unten kam, stand meine Mutter in ihrem kurzen Rock auf einer Leiter und befestigte einen großen Papierstern in einem der Fenster. Ian hielt das klapprige Gestell fest und beobachtete interessiert die Aussicht, die sich ihm bot. Weihnachtsmusik dudelte aus der Anlage.
„Fertig!“ Milla stieg von der Leiter herunter und fuhr zusammen, als sie mich und Paul im Türrahmen stehen sah. „Mein Gott, hast du mich erschreckt.“
„Ich wollte nicht stören“, sagte ich spröde.
„Aber du störst doch nicht.“ Sie nahm mich am Arm und zog mich in die Mitte des Zimmers. „Na, was sagst du? Ich habe versucht, alles für heute Abend ein wenig aufzupeppen.“ Sie breitete stolz die Arme aus.
Ich drehte mich einmal um meine Achse.
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