Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Koppold
Vom Netzwerk:
unterhielt. Als er meine Mutter erblickte, hellte sich seine Miene merklich auf. Milla lächelte geschmeichelt und zupfte an sich herum. So zurechtgemacht, in hohen Schuhen, enger Jeans und Lederjacke, hatte sie tatsächlich eine leichte Ähnlichkeit mit Patti Hansen, der Freundin von Keith Richards. Es wäre komisch gewesen, hätte es mich nicht selbst betroffen.
    Kurz bevor Milla Ian erreichte, hielt ich sie noch einmal am Arm fest. „Bleib stehen!“
    Ohne sich nach mir umzudrehen, versuchte sie, sich aus meinem Griff zu entwinden, um weiterzugehen. Doch ich ließ nicht locker.
    „In Galway dachte ich, dass dir der liebe Bennett ans Herz gewachsen ist, so wie du ihn angeschmachtet hast. Aber jetzt weiß ich, dass es dir ganz egal ist, mit wem du flirtest. Du möchtest nur deinen Marktwert testen. Ich wette, Papa wäre nicht begeistert, wenn er wüsste, was du in Irland treibst!“, schrie ich ihr von hinten ins Ohr, kaum um eine diskrete Lautstärke bemüht.
    Milla drehte sich zu mir um und machte sich mit einem Ruck los. Ihr Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt und spiegelte so viele Emotionen wieder, dass ich fast Angst bekam.
    „Es reicht. Nach allem, was du mitgemacht hast, habe ich mich wirklich darum bemüht, nachsichtig mit dir zu sein. Aber nun ist das Maß voll, Felicitas“, zischte sie, nur noch mühsam beherrscht. „Und jetzt hörst du mir zu!“ Sie presste mich auf einen der wenigen leeren Stühle im Raum und baute sich vor mir auf. „Weil du deinen Führerschein zu Hause vergessen hast, musste ich die letzten Tage 150 Kilometer trampen, stundenlang über Feldwege und Schafweiden laufen und zuletzt auch noch auf einem Eselskarren mitfahren. Mir sind die Hände und Füße fast abgefroren, mein Rücken bringt mich um, und während du diesem Iren hintergerannt bist, habe ich mich die ganze Zeit um deinen Sohn gekümmert.“ Sie kniff ihre Augen zusammen und kam mit ihrem Gesicht so nahe an mich heran, dass ich ihren Atem riechen konnte. „Mir reicht’s!“, wiederholte sie. „Und wenn du mir diesen Abend vermiest, gnade dir Gott!“
    Ich stand auf und wollte davon stürzen. Zwar wusste ich nicht genau, wohin, Hauptsache weg, doch der Menschenpulk um mich herum hinderte mich daran und ich lief gegen eine Wand aus Brüsten, Armen und Händen, die enthusiastisch die beiden Kraushaarhausfrauen beklatschten, die ihren Song endlich beendet hatten. Cullen betrat die Bühne und es wurde leiser. Er fragte, welcher mutige Mensch sich als nächster traue, seine gesanglichen Qualitäten unter Beweis zu stellen.
    „Hier!“ Ohne zu überlegen, hob ich die Hand. Alle wandten ihre Köpfe zu mir. „Ich möchte singen.“
    Ohne auf den fassungslosen Blick meiner Mutter zu achten, stolperte ich nach vorne, und dieses Mal ließ der Menschenteppich mich anstandslos passieren. Er öffnete sich wie ein Reißverschluss, dessen Zähne wohlwollende Gesichter bildeten, und ich erreichte ohne Probleme – gut, vielleicht war ich einige Male gestolpert! – die Bühne.
    „Hast du dir überlegt, was du singen möchtest?“, fragte Cullen und musterte mich skeptisch.
    „Nein. Aber ich finde schon was.“ Ich grapschte mir eine der Songlisten, die auf der Karaokemaschine lagen.
    „Das hier soll es sein.“ Ich zeigte auf einen Liedtitel im unteren Bereich des Blattes. „Stand by your Man“ von Tammy Wynette. Na, wenn das dem Anlass nicht angemessen war! Zwar kannte ich das Original nicht, aber die Version von Heike Makatsch aus dem Film „Männerpension“.
    Cullen tippte auf der Maschine herum, die ersten Töne erklangen und kurz darauf liefen rot gedruckte Worte auf dem schwarzen Hintergrund durchs Bild. Ich räusperte mich kurz – nun war ich doch ein wenig aufgeregt – und fing an zu singen. Zunächst klang es noch recht dünn, doch dann wurde ich mutiger. Lediglich drei Mal verhaspelte ich mich und einmal geriet ich bei einem besonders wilden Tanzschritt ins Trudeln und den Refrain schmetterte ich mit voller Kraft ins Mikrofon. Das Publikum jubelte, so kam es mir jedenfalls vor, noch begeisterter als zuvor bei den Hausfrauen, und je mehr der Applaus anschwoll, desto lauter wurde ich. Zum Teufel mit Herrn Kirsch und seiner Bass-Ecke. Ich konnte sehr wohl singen und dieser Abend war der beste Beweis dafür. Am Ende des Liedes überlegte ich, ob ich noch eine Zugabe geben sollte, und griff schon nach der Songliste, um mir meinen nächsten Hit auszusuchen, als sich eine Hand in meinem Oberarm

Weitere Kostenlose Bücher