Zeit für Eisblumen
die Frauen nur alle an ihm?
David erschien erst kurz vor neun mit seinem Geigenkasten unter dem Arm und Eva sowie ein paar seiner Reitschülerinnen im Schlepptau. Ich verdrehte die Augen. Natürlich!
Seit meinem Aufenthalt in Irland hatte ich David nie anders als in Armeeparka, Reithosen und Gummistiefeln gesehen, doch heute Abend trug er Doc Martens, eine ausgeblichene Jeans und ein weißes T-Shirt, das seine braune Haut besonders gut zur Geltung brachte.
„Hey“, begrüßte ich ihn verlegen.
Er lächelte und drückte mir einen Kuss auf die Wange.
„Nicht weglaufen!“, sagte er. „Nach meinem Auftritt komme ich zu dir und wir trinken etwas zusammen.“
Eva warf mir einen giftigen Blick zu. Vielleicht war ihre Liebe tatsächlich nur von einseitiger Natur.
Als David die Bühne betrat, applaudierten die Pubbesucher freudig, einige Mädchen im schulpflichtigen Alter pfiffen und trampelten mit den Füßen auf dem Boden herum. Er setzte sich auf einen Hocker, klemmte seine Geige unter das Kinn und begann zu spielen. Zart und sehnsuchtsvoll waberten die Töne einer irischen Weise durch den Raum. Sie blieben einen Augenblick und verloren sich im Nichts, machten Platz für neue schwermütige Noten. Davids Augen waren geschlossen, sein sonst so undurchdringlicher Gesichtsausdruck war sanft. Ich hielt den Atem an, schloss ebenfalls die Augen und gab mich ganz dieser wundervollen Melodie hin. Ich lag mit David im Bett, spürte seine Hände in meinen Haaren, seinen Mund auf meiner Haut, ich fühlte glatte, nassglänzende Laken unter meinem Körper, sah die kargen Wände der billigen Pension. Die Bilder verschwammen, wurden vertrieben von aggressiveren Tönen, die schneller aufeinander folgten, laut und fordernd klangen. David stand auf und die Menge jubelte. Sein Bogen flitzte über die Seiten. Eine Strähne hatte sich aus seinem Pferdeschwanz gelöst, verfing sich in seinem Mund und er pustete sie ungeduldig weg. Ich konnte mich nicht rühren, der Kokon der Töne spann mich ein und ich starrte David an, der über die Bühne lief und seinem Instrument immer neue Klangfarben entlockte. Doch so abrupt, wie die Melodie angeschwollen war und mich gefangen genommen hatte, so plötzlich wurde sie leiser, zaghafter und ließ mich schließlich los. Ich konnte frei durchatmen.
„Ein Teufelsgeiger“, dachte ich und wunderte mich selbst über meine Gedanken.
David spielte noch fünf weitere Lieder. Sie gefielen mir alle, doch keins schlug mich so in seinen Bann wie das erste. Nachdem die letzte Note verklungen war, kam er zu mir an die Bar. Ein ätherisch aussehendes Mädchen in einem wehenden Kleid betrat mit ihrer Band die Bühne und stimmte ein irisches Volkslied an. David bestellte ein Guinness, kippte es in zwei Zügen herunter und setzte sich neben mich.
„Du warst großartig.“ Ich vermied es, ihn anzuschauen.
Milla näherte sich uns. Sie trug wieder ihren engen, kurzen Rock und hatte die blonden Locken aufreizend in den Nacken geworfen. „Schön, Sie endlich kennenzulernen. Ich bin Fees Mutter. Milla.“ Sie reichte ihm die Hand. „Meine Tochter hat mir viel von Ihnen erzählt.“
Ich machte ein böses Gesicht, doch Milla flirtete unverhohlen weiter. „Sie könnten glatt ihrem Namensvetter Konkurrenz machen. David Garrett. Waren Sie schon einmal auf einem seiner Auftritte?“
„Natürlich. Er ist mein größtes Vorbild.“ Er lächelte sie an.
„David möchte sich für ein Stipendium an der der Juilliard in New York bewerben. An der Universität, an der auch Garrett studiert hat“, erzählte ich ihr.
„Warum arbeiten Sie dann immer noch hier in Kylebreak als Reitlehrer und haben nicht schon längst ihre Koffer gepackt?“, fragte Milla David unverblümt.
„Mein Vater hat meine Mutter und mich vor ein paar Jahren verlassen und Frank, unser Vorarbeiter, hatte im Herbst einen Herzanfall. Er hat auch die Reitstunden gehalten. Für meine Mutter allein ist die Arbeit auf dem Hof zu viel. Ich muss warten, bis sie einen Ersatz für Frank gefunden hat“, antwortete David freundlich.
„Aber ist es denn so schwer, hier in der Gegend fähige Arbeiter oder einen Reitlehrer zu finden? Hier gibt es ja fast mehr Pferde als Einwohner und Schafe.“ Milla ließ so leicht nicht locker.
„Wenn man einen guten haben möchte, ist es nicht einfach.“
„Wie macht sich meine Tochter denn so auf dem Pferderücken? Bis vor kurzem wäre ich jede Wette eingegangen, dass sie niemals freiwillig aufsteigt. Aber sie scheint
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