Zeit für Eisblumen
Pflaster.
Sie war immer noch da!
Ein Schluchzen drang aus meiner Kehle. Ich schaute erschrocken auf. David schien nichts gemerkt zu haben. Er hatte die Augen geschlossen. Sein Gesichtsausdruck war sanft. Dann fiel mein Blick auf Eva, die mit düsterem Blick am Rand der Tanzfläche stand und uns beobachtete. Meine Wunde war anscheinend nicht die einzige im Raum, die immer noch schwelte.
„Kommst du einen Augenblick mit nach draußen“, fragte David, nachdem die Sängerin das Lied beendet hatte, die Lichter angegangen waren.
Ich quetschte mich hinter ihm durch die Menge und registrierte erfreut die vielen neidischen Blicke, die mir dabei folgten. Evas trauriges Gesicht versuchte ich zu verdrängen.
Vor dem Pub stand eine Gruppe Jugendlicher. Die Spitzen ihrer Zigaretten schimmerten wie verirrte Glühwürmchen in der Nacht. David zog mich ein wenig abseits von ihnen unter einen Dachvorsprung des Pubs, sodass ich sie nicht mehr sehen, sondern nur noch ihre Stimmen hören konnte. Fröstelnd schob ich die klammen Hände in meine enge Jeans.
„Ist dir kalt?“, fragte David.
Ich nickte.
„Soll ich dich wärmen?“
„Wenn du magst“, entgegnete ich und schämte mich für meine piepsige Kleinmädchenstimme.
David nahm meine Hände. „Besser?“
„Viel besser.“ Ich versuchte, meine Stimmlage eine Oktave tiefer anzusetzen, was sich jedoch noch dämlicher anhörte. Nervös kicherte ich. David musste denken, dass ich eine komplette Vollmeise hatte. Doch er trat einen Schritt näher und zog mich an sich.
„Und so? Ist es so vielleicht noch ein bisschen besser?“
„Vielleicht.“ Ich versuchte, nicht in seine dunklen Augen zu schauen.
David strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Es ist schön, dass du hier bist.“
„Am Anfang hatte ich nicht den Eindruck.“
David lächelte und zuckte mit den Schultern. „Ich lasse mir eben nicht gerne in die Karten schauen.“
Er fuhr mit dem Daumen über meine Unterlippe. Ich erschauderte. Es war garantiert falsch, was ich hier tat, und mit ethischen Grundsätzen nicht zu vereinbaren. Aber – Herr im Himmel! – Sam war mit Monika zusammen und ich hatte keine Lust mehr, länger wie ein Trauerkloß durch die Gegend zu laufen. Ich wollte meinen Spaß haben, endlich wieder unbelastet sein. War das denn zu viel verlangt?
„Jetzt küss’ mich!“
Hatte ich das laut gesagt? Anscheinend, denn David schaute mich verblüfft an. Auf einmal hatte ich den Überraschungseffekt auf meiner Seite, ich hatte das Heft in der Hand, so wie damals im Englischen Garten, als ich ihm die Geige aus der Hand genommen und ihn zu mir heruntergezogen hatte. Auch dieses Mal presste ich mich an ihn. David lächelte. Millimeterweise näherte er sich meinem Mund. Zuerst spürte ich seine Nase, dann seine Bartstoffeln und schließlich – endlich! – seine Lippen. Zart berührten sie meine und seine Zunge glitt quälend langsam in meinen Mund. Ich keuchte. Mein Gott, ich hatte ganz vergessen, wie gut dieser Mensch küssen konnte! Ewig würde ich diese Knutscherei aber nicht aushalten. Nicht nach einer so langen Zeit der Enthaltsamkeit. Ich griff in seinen Nacken und überlegte, an welchem Ort ich David die Kleider vom Leib reißen könnte. Direkt hier? In einem der leeren Zimmer im Pub? In dem Zimmer, wo sich das Bett mit dem verschnörkelten Metallkopfteil befand? Sam und ich hatten so eins in unserem Gästezimmer stehen. Man konnte darin ganz wundervolle Sachen machen. Warum musste ich denn gerade jetzt an Sam denken?
„Geh weg!“, flehte ich und küsste David heftiger.
Er drückte mich an die Hauswand. Schob meinen Rock hoch und ließ seine Hände darunter gleiten.
„Ach, hier bist du!“ Wir fuhren auseinander. Eva stand ein paar Meter von uns entfernt und kniff die Augen zusammen.
„Was ist?“, fragte David brüsk.
„Dort drin ist ein Bauer, der Interesse an einem von euren Jungpferden hat.“
„Sag ihm, ich komme.“
Eva warf mir einen eisigen Blick zu, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand.
David nahm mich erneut in den Arm. „Ich bin gleich zurück.“
Ich lachte. „Hier draußen warte ich nicht auf dich.“
„Hast du ein Zimmer für dich allein oder teilst du es mit deiner Mutter?“
„Letzteres.“
„Schade. Magst du nachher mit zu mir kommen?“
„Heute Abend ist es schlecht.“ Ich entwand mich seinem Griff. „Aber morgen. Hast du morgen Zeit?“
David überlegte. „Am Nachmittag muss ich zwei Reitstunden geben, aber vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher