Zeit für Eisblumen
über habe ich nur an mich gedacht, daran, dass ich keine alleinerziehende Mutter sein möchte. Doch das ist sowieso passiert. Ich stehe allein da. Jetzt denke ich an Sam? Ich kann David nicht zwingen, einen Test zu machen. Aber wenn ich Gewissheit haben will, werde ich mit Sam darüber reden müssen. Wie wird er sich fühlen, wenn ich ihm sage, dass Paul vielleicht gar nicht sein Sohn ist? Ich weiß nicht, ob meine Gewissheit es wert ist, ihm all das zu nehmen, was er in den letzten elf Monaten aufgebaut hat. Aber was ist mit Paul? Er muss doch wissen, wer sein richtiger Vater ist. Oder etwa nicht? Mein Gott, in was für eine Scheiße habe ich uns alle reingeritten!“ Ich ließ meinen Kopf in meine Hände sinken. Dann richtete ich mich müde wieder auf. „Ian, du kennst dich doch so gut mit der menschlichen Psyche aus. Kannst du mir sagen, was du in meiner Situation tun würdest? Wenn ich deine Patientin wäre.“
„Ich würde dir sagen, dass das, was ich in dieser Situation tun würde, vielleicht gar nicht das Beste für dich ist.“
„Das hilft mir jetzt weiter.“ Ich ließ mich gegen die raue Steinmauer sinken und starrte in den Himmel.
„Du liebst diesen Sam immer noch, nicht wahr?“, sagte Ian überraschend sanft.
„Ja.“ Ich schluckte. „Bevor wir uns getrennt haben, war ich mir nicht sicher. Es ist so vieles schiefgelaufen und ich habe mir schon immer lieber etwas Neues gekauft, als etwas Altes zu reparieren. Aber jetzt denke ich, dass das, was zwischen uns stand, gar nicht so unüberwindbar war, wie ich gedacht habe. Ich habe Sam vorgeworfen, dass er mir bei der Depression oder den Panikanfällen nicht beigestanden hat. Dabei hat er sich nach der Geburt wirklich bemüht. Er hat sich um Paul gekümmert, den Haushalt geschmissen, mir Geschenke mitgebracht. Aber ich habe ihn nicht an mich rangelassen und irgendwann hat er auch dichtgemacht. Ich war so enttäuscht. Ich wollte, dass er dafür sorgt, dass es mir wieder besser geht. Aber wie sollte er das? Außerdem konnte er ja überhaupt nicht wissen, wie ich mich fühlte. Ich hatte mir schließlich kein Bein gebrochen. Letztendlich kann einem wohl niemand Ängste und Probleme abnehmen, sondern man muss selbst sehen, wie man sie in den Griff bekommt.“
Ian lächelte. „Das ist eine weise Erkenntnis. Siehst du! Du brauchst meine Hilfe als Therapeut überhaupt nicht.“ Er knuffte mich in die Seite. „Und jetzt steh auf!“
„Warum?“
„Du bist doch eine Kämpferin, oder etwa nicht?“, sagte Ian und hielt mir die Hand hin.
„Früher vielleicht.“ In dieser Hinsicht war ich mir nicht mehr so sicher.
„Egal, ob du dich dafür entscheidest, deinem Sam die Wahrheit zu sagen oder nicht, ruf diesen Kerl endlich an und sag ihm, dass du ihn immer noch liebst. Er müsste total verrückt sein, wenn er so jemanden wie dich einfach gehen lassen würde.“ Er zog mich nach oben.
Es war später Nachmittag, als Ian und ich nach Kylebrack zurückkehrten. Und das erste Mal seit Monaten fühlte ich mich ein wenig leichter. Ich musste zumindest versuchen, Sams und meine Beziehung zu retten. Liebevoll drückte ich Paul, der in der Küche saß und in einem Topf herumrührte, einen Kuss auf die Wange und wuschelte ihm durch die Haare. Dann nahm ich mein Handy aus der Tasche und ging nach oben ins Zimmer, um ungestört zu telefonieren. Kurz nach fünf! Um diese Zeit war Sam sicher zu Hause. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, wählte ich die Nummer unserer Wohnung. Es läutete einmal, zweimal, dreimal. Es meldete sich der Anrufbeantworter.
„Hallo, lieber Anrufer! Sam, Paul und Felicitas sind nicht zu Hause. Wir freuen uns aber über eine Nachricht und rufen umgehend zurück“, hörte ich meine eigene Stimme in den Äther zwitschern. Ich wollte schon enttäuscht auflegen und es auf Sams Handy versuchen, doch etwas hielt mich davon ab. Ich musste reden. Jetzt. Unbedingt. Auch wenn es mit einer Maschine war.
„Sam“, fragte ich unsicher. „Bist du da? Ich bin’s, Fee.“ Ich wartete einen kleinen Augenblick, aber niemand hob ab. Ich fuhr fort: „Es tut mir leid, was ich getan habe. Dass ich dich verlassen habe. Das ist alles ein riesengroßer Fehler gewesen. Das ist mir hier in Irland klargeworden. Ich habe gedacht, dass ich dich vergessen könnte, wenn ich nur weit genug wegfahre. Dass ich ohne dich auskomme. Aber das kann ich nicht. Ich komme ohne dich nicht aus. Du fehlst mir so. Ich liebe dich. – Ich liebe dich“, wiederholte ich, weil
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