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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Koppold
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in eine tiefe Pfütze. Bäh! Sofort sickerte Wasser in meinen Schuh und ich ärgerte mich darüber, ausnahmsweise auf Gummistiefel und Skisocken verzichtet zu haben. Ian überholte mich und kraxelte auf seinen krummen Beinen ein ganzes Stück vor mir den Pfad hinauf. Ich folgte ihm mit vor Nässe quietschenden Schuhen. Es war mühsam, gegen den Wind anzukämpfen, und noch mühsamer, den Blick nicht ständig nach rechts schweifen zu lassen. Aber eigentlich war ich froh darüber, denn mein angestiegener Adrenalinspiegel und meine schmerzenden Muskeln hielten mich davon ab, an Sam, David und den ganzen gestrigen Tag zu denken.
    Ian stoppte erst, als wir an einem steinernen Turm angekommen waren, der am Rand eines Klippenvorsprungs stand.
    „Das ist der O’Briens Tower“, erklärte er und machte sich an der Tür des Gebäudes zu schaffen, die sich zu meiner großen Verwunderung mit einem rostigen Quietschen öffnen ließ. Wir stiegen über eine Wendeltreppe bis hinauf zu einer schmalen Brüstung, die sich um den gesamten Turm herumzog und durch eine Steinmauer abgesichert wurde. Vorsichtig spähte ich darüber und wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Ein wenig weiter unten auf unserem Weg hatte ich ein paar Touristen gesehen, die die Absperrung ignoriert hatten und auf allen Vieren zu dem Rand der Klippen gekrabbelt waren, um einen Blick hinunterzuwerfen. Allein bei diesem Anblick war mir schon schwindelig geworden, aber hier auf diesem Turm hatte man dem Abgrund genauso unmittelbar vor Augen. Die Wellen klatschten mit einer solchen Wucht gegen die Klippen, dass die Gischt weit hinaufspritzte, und das wogende Spiel des Wassers gab unzählige Felsenspitzen frei, die sich wie eine Armee von Soldaten um die Steilküste gruppierten, als wollten sie diese vor unerwünschten Eindringlingen beschützen. „Wenn sich hierher ein Boot verirrt“, dachte ich mit Schaudern, und in mir stieg das Bild einer Walnussschale auf, in deren Inneren ein einsamer Mensch saß, der mit seinem Gefährt immer wieder gegen die Felsenzacken geschleudert wurde. Trotz meiner Furcht war es aber ein unglaubliches Gefühl, die Welt von so weit oben zu betrachten, sich vorzustellen, was diese Steilklippen im Laufe der Jahrtausende schon alles gesehen hatten.
    „Ich weiß nicht, wie es dir geht“, sagte Ian, der unbemerkt neben mich getreten war. „Aber wenn ich auf der Spitze eines Berges stehe oder hier auf den Steilklippen und hinunterschaue, kommen wir meine eigenen Sorgen unglaublich klein vor.“
    Ich nickte. Obwohl dieses Gefühl mit Logik nicht zu erklären war, wusste ich, was er meinte, und eine Welle der Zuneigung erfasste mich zu diesem seltsamen Mann, der mich mit hierher gebracht hatte. Nach einer Weile löste sich Ian von dem Szenario und ging zu einer steinernen Bank, die windgeschützt in einer Wandnische des Turmes stand. Ich folgte ihm und setzte mich neben ihn.
    „Als ich dich und deine Mutter das erste Mal gesehen habe und ihr mit euren schicken Kleidern und euren blonden Haaren vor mir gestanden habt, dachte ich: Was haben sich da nur für zwei hübsche Ladys zu mir verirrt! Aber darüber hinaus ist wahrscheinlich nicht allzu viel mit ihnen anzufangen.“ Ian verschränkte die Hände vor der Brust und ließ sich gegen die Mauer des Turmes sinken.
    Ich sah ihn belustigt an. „Und? Hast du deine Meinung geändert?“
    „Ja. Milla ist eine tolle Frau. Wirklich toll! Und du siehst zwar aus wie eine Zuckerpuppe, aber du hast keine Probleme damit, dir die Hände schmutzig zu machen. Das gefällt mir. Und du bist deinem Kleinen eine gute Mutter.“ Er lächelte.
    „Eine gute Mutter? Bist du sicher?“
    „Du gehst liebevoll mit ihm um, ohne ihn in Watte zu packen.“
    „Aber die meiste Zeit bin ich nicht da“, gab ich zu bedenken. „Paul muss in München neun Stunden am Tag in eine Kinderkrippe. Wenn wir nach Hause kommen oder auch am Wochenende, bin ich oft zu kaputt, um ihn noch groß zu bespielen. Und am Anfang unserer Irlandreise habe ich ihn ständig Milla überlassen. Ich weiß nicht, ob mich all das als gute Mutter qualifiziert.“
    „Ich kann nicht aus Erfahrung sprechen, da ich leider keine eigenen Kinder habe, aber ich bin mir sicher, dass nicht die Frauen die besten Mütter sind, die sich über alle Maßen um ihr Kind kümmern, sondern diejenigen, die ausreichend für es sorgen.“
    „Im Ernst?“ Ich zog die Augenbrauen nach oben.
    „Das Leben ist kein Zuckerschlecken, Fee. Meinst du, dass die Kinder, die

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