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Zeit für mich und Zeit für dich

Zeit für mich und Zeit für dich

Titel: Zeit für mich und Zeit für dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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anstrengend gewesen, ich hatte immer viel gearbeitet und wenig auf mich selbst geachtet, auf meine ureigenen Bedürfnisse. Ich hatte Angst, mit einem Kind würde das alles wieder von vorn beginnen. Mit einem Kind würde ich noch mehr Arbeit und Verantwortung auf mich laden, dachte ich. Und außerdem: Wie konnte ich mir ein Kind wünschen, wenn ich mir immer noch einen Vater wünschte?
    Just zu der Zeit also, als ich mich nicht festlegen konnte und unbeschwert in den Tag hineinleben wollte, wünschte sie sich ein Kind. Dabei hätte ich ihr ganz am Anfang, als wir frisch zusammen waren, sofort eins gemacht. Nicht, weil ich darüber nachgedacht hätte und bereit gewesen wäre, sondern weil ich irgendwie in einem Taumel war und eben nicht nachdachte. Nur so hätte ich ein Kind zeugen können: im ersten Rausch des Verliebtseins. Damals meinte sie zu Recht, es wäre besser, noch ein wenig zu warten und zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Doch als ich wieder auf dem Boden angekommen war, verließ mich der Mut.

[58]  Spuren der Wut
    Nach der achten Klasse beschloss ich, nicht weiter zur Schule zu gehen, sondern in der Bar meines Vaters zu arbeiten. Ich wollte nicht noch weitere fünf Jahre dafür verantwortlich sein, dass so viel Geld für Bücher und Ähnliches ausgegeben wurde.
    Ich beschloss also, in der Bar mitzuarbeiten, immerhin hatte ich diese Alternative. Meine Eltern würde ich weniger kosten als ein Angestellter. Es schien alles schon festgelegt: Eines Tages würde ich die Bar übernehmen.
    Als ich bei ihnen anfing, wurde mir erst richtig klar, wie schlimm die Lage tatsächlich war. Mein Vater hatte immer versucht, uns aus seinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten herauszuhalten, und vieles gar nicht erzählt. Meine Mutter fragte nicht viel, sie vertraute ihm, sie liebte ihn. Ich hatte ihn auch lieb, aber ich wollte wissen, wie die Dinge standen. Also sah ich mir alles genau an, machte mich schlau. Und bald wusste ich Bescheid.
    Wir ertranken in Schulden. In der Wohnung, in der Bar, in jeder Schublade, die ich öffnete, fand ich unbezahlte – in einigen wenigen Fällen auch bereits bezahlte – Wechsel.
    Wenn man einen Wechsel bei Fälligkeit nicht begleichen kann, landet er erst mal beim Notar, wo man ihn [59]  gegen Zahlung von zusätzlichen Gebühren innerhalb von drei Tagen begleichen kann. Schafft man es nicht, dann geht er ans Gericht, und man hat einige Tage Zeit, per Antrag mit Gebührenmarke den Protestvermerk auf dem Wechsel wieder austragen zu lassen. Das kostet einen Haufen Geld und ist mit viel Papierkrieg verbunden. Einmal stand ich im Gericht an einem Tisch und füllte den entsprechenden Antrag aus, als ein Gerichtsangestellter, ein kleiner Mann mit roten Haaren, daherkam und mich anblaffte: »Du kannst hier nicht einfach einen Tisch benutzen. Die wurden bestimmt nicht hier aufgestellt, damit du besser schreiben kannst. Ein bisschen mehr Respekt, bitte.« Unwillkürlich senkte ich den Kopf und bat um Verzeihung. Ich ging hinaus und schrieb meinen Antrag auf einer Bank. Im Sitzen war das zu unbequem, also kniete ich mich davor.
    Den Antrag füllte ich so häufig aus, dass mir die Worte wie eine Litanei im Gedächtnis geblieben sind: »An den hochwohlgeborenen Richter, von dem der Unterzeichnete hiermit erbittet…« Die Grußformel am Ende musste lauten: »Mit vorzüglicher Hochachtung«. Ich erinnere mich so gut daran, weil ich mich einmal verschrieb und ein neues Formular kaufen und alles noch mal ausfüllen musste. Zum Glück hatte ich die Gebührenmarke noch nicht aufgeklebt. Ich hatte nämlich den unverzeihlichen Fehler begangen, »Hochachtung« kleinzuschreiben.
    An jede einzelne dieser peinlichen oder für meine Familie demütigenden Situationen erinnere ich mich noch ganz genau, an all die unangenehmen, unhöflichen, hochmütigen und selbstgefälligen Menschen, denen ich [60]  begegnet bin. Menschen, die es gewohnt sind, den Schwächeren gegenüber stark und den Stärkeren gegenüber schwach zu sein.
    Ich erinnere mich, wie mein Vater morgens auf die Vertreter wartete, denen er Geld schuldete und denen er immer nur das Gleiche sagen konnte: dass er kein Geld habe und sie später wiederkommen müssten. Als ich zum ersten Mal an einer solchen Verhandlung teilnahm, wandte sich mein Vater, ich weiß nicht, warum, kurz zu mir um, und unsere Blicke trafen sich. Das Ganze war mir peinlich, ich schämte mich für ihn. Danach versuchte ich mich möglichst fernzuhalten, wenn sich ein Vertreter

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