Zeit für mich und Zeit für dich
welchen…«
Während sie den Wein holte, blieb ich auf dem Sofa sitzen und starrte auf den dunklen Bildschirm des Fernsehers. Ich sah mein Spiegelbild, unklar und verschwommen. Genauso fühlte ich mich.
[51] Sie (die ein Kind wollte)
Ideen klauen gehört irgendwie zur kreativen Arbeit dazu. Nicola und ich tun das auch. Man klaut aus Filmen, Songs und Gesprächen, die man in der Schlange vor der Supermarktkasse oder im Zug belauscht hat. Wie Vampire saugen die Kreativen alles aus, was ihren Weg kreuzt. Sie schnappen irgendein Wort, einen Satz oder einen Gedanken auf, plötzlich geht ihnen ein Licht auf, und sie wissen: Das ist es, wonach sie die ganze Zeit gesucht haben. Und dabei ist es ihnen nicht mal bewusst, dass sie etwas stehlen. Sie glauben, alles stände zu ihrer freien Verfügung. Darum sind die Worte von Jim Jarmusch die Bibel der Kreativen: »Entscheidend ist nicht, woher man die Dinge nimmt, sondern was man daraus macht.«
Unsere Antennen stehen immer auf Empfang, selbst wenn wir nicht arbeiten. Wenn Nicola und ich am Beginn einer neuen Werbekampagne stehen, sind wir nicht nur extrem hellhörig, wir haben auch eine besondere Methode, die uns dabei hilft: Wir machen eine Aufstellung von Dingen, eine Art Hitliste. Das ist unser Warm- up. Wenn ich zum Beispiel sage: »Klänge und Geräusche, die wir mögen«, dann nimmt Nicola eine der Antistress-Pillen, die er in seinem Schreibtisch aufbewahrt, denkt eine Weile nach und beginnt mit seiner Aufzählung:
[52] »Das Quietschen des Gartentors, als ich noch klein war. Hab ich seit Jahren nicht gehört.
Das Geräusch der Fahrradkette, wenn ich rückwärts trat.
Der Klang des Regens, den du morgens, wenn du noch im Bett liegst, am Rauschen der vorbeifahrenden Autos erkennst.
Das Fauchen der Kaffeemaschine auf dem Herd.
Das Brutzeln in der Pfanne, wenn du die Zwiebeln dazugibst.
Das Klimpern der Schlüssel am Türschloss, wenn du auf jemanden wartest.
Das Klappern der Tassen in der Bar.«
So eine Aufzählung regt nicht nur Gehirn und Phantasie an, manchmal ist auch etwas dabei, das wir für eine Kampagne verwerten können. Kommt gar nicht so selten vor – es sei denn, es handelt sich um eine von Nicolas Hitlisten der vulgären Dinge, die machen wir nur ab und zu zum Privatvergnügen.
Auf die Liste mit dem Titel Schöne Dinge, die du gesehen hast hatte Nicola zum Beispiel »Kinder, die am Flughafen ihre kleinen Trolleys hinter sich herziehen« gesetzt, und dieses Bild haben wir dann später tatsächlich für eine Werbekampagne verwendet.
Nicola ist jemand, der seinen Worten Taten folgen lässt. Zum Beispiel hatte er mir mal eine Liste versprochen mit guten Gründen dafür, warum man gleich zu Anfang Sex mit einer Frau haben sollte. Ein paar Tage später gab er sie mir:
»Damit man nackt in der Wohnung herumlaufen kann, [53] wenn sie da ist, und sich nicht nach dem Duschen ein Handtuch umwickeln muss.
Damit man aus der Flasche trinken kann, ohne sich dafür mit Sätzen zu entschuldigen wie: ›Ist eh nicht mehr viel drin, ich mach sie nur leer.‹
Damit man gleich herausfindet, ob es nicht besser wäre, nur befreundet zu sein.
Damit man nicht nett sein muss, wenn einem der Sinn nicht danach steht.
Wenn ein Abendessen auf dem Programm steht, sollte man vorher Sex haben (mit leerem Magen ist es intensiver, und danach hat man schön Hunger, außerdem ist Sex nach dem Abendessen unoriginell).
Damit man ihr nicht die ganze Zeit in den Ausschnitt gucken muss, wenn sie redet.
Um zu sehen, ob man am Tag danach noch miteinander telefonieren mag.«
Er nannte mir auch einen Grund aus weiblicher Sicht: Damit sie der Freundin, der sie all seine SMS vorgelesen hat, endlich was Interessantes zu erzählen hat, in allen Details. Frauen lieben Details.
Als Nicola mit seiner Liste fertig war, sagte er noch: »Für uns Männer ist es leichter. Unter Männern lautet die Frage: ›Und, hast du sie gevögelt?‹ Unter Frauen dagegen lautet sie: ›Glaubst du, er wird sich wieder bei dir melden?‹«
Als wir tags darauf mit Giulia darüber sprachen, war sie, was die Einschätzung der Frauen anging, nicht einverstanden. Das hänge doch sehr von der jeweiligen Frau ab, meinte sie, vor allem vom Alter. Die jüngere [54] Generation würde eher die Frage stellen, die Nicola für typisch männlich halte. Und die sie im Übrigen »geschmacklos« finde.
Die Beziehung zwischen den beiden finde ich sehr amüsant. Giulia ist eher zurückhaltend, taktvoll, feinfühlig.
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