Zeit für mich und Zeit für dich
starrt mich immer noch an. Mit zusammengekniffenen Lippen wie bei einem starken Schmerz. Dann beginnt sie langsam zu nicken. Die Augen glänzen noch immer.
[257] Ich bin so glücklich wie noch nie. Jede Zelle in meinem Körper strotzt vor Kraft. Ich spüre einen mächtigen Orgasmus heranrollen. »Ich liebe dich… nicht weggucken, sieh mir in die Augen, sieh mich an, jetzt… ja jetzt, lass dich gehen, jetzt, jetzt kannst du kommen… zusammen mit mir… jetzt!«
Ich spüre, wie ihre Lust aus großer Ferne heranrollt, den Höhepunkt erreicht und gleichzeitig mit meiner explodiert. Wir schreien und klammern uns aneinander, den ganzen Körper angespannt in einem langen, endlosen Orgasmus.
Ich finde mich in einem Schwebezustand wieder, im Nichts. Ich brauche ein paar Minuten, um wieder zu mir zu kommen und zu begreifen, wo ich bin und was passiert ist. Ich liege nackt auf dem Boden. Neben mir die Frau meines Lebens. Sie, die gerade zugegeben hat, dass sie mich noch liebt.
Ich starre schweigend an die Decke, dann wende ich mich ihr zu. Sie sieht mich an. Sie lächelt und streichelt mich. Ihre Augen sind rot, noch voller Tränen. Langsam nähert sie sich und gibt mir einen Kuss auf die Nasenspitze, dann auf den Mund. Sie streichelt mich. Auch ich beginne sie zu streicheln, alles schweigend. Dann sage ich: »Geh nie mehr fort von hier.«
»In den vergangenen beiden Jahren habe ich oft gedacht, dass das, was ich mir immer unter Liebe vorgestellt habe, in Wirklichkeit gar nicht existiert. Aber du hast mir heute gezeigt, dass es diese Liebe wirklich gibt. Jetzt bist du diese Liebe.«
»Und deshalb musst du zu mir zurückkommen. Wir [258] gehören zusammen. Wenn du mich heute immer noch mit diesen Augen ansiehst, heißt das, dass auch ich dir etwas bedeute. Ich bin für dich da, ich bin für uns da. Du weißt, was ich meine. Ich muss dich nicht überreden. Ich weiß, dass du das auch so empfindest.«
»Natürlich tue ich das, aber wir können nicht mehr zurück. Es ist zu spät.«
»Es ist nicht zu spät, es ist nie zu spät. Was hindert dich denn daran, zu mir zurückzukommen: das Aufgebot etwa und das schon bestellte Festessen im Restaurant? Die Bonbonnieren für die Hochzeitsgäste?«
Schweigen… Dann beginnt sie, mir das Gesicht abzuküssen: Nase, Lider, Brauen, Wangen, Kinn. Ich schließe die Augen.
»Und was, wenn ich dir sagen würde, dass ich schwanger bin?«
»Wie, schwanger?«, sage ich und reiße die Augen auf.
»Ja, wenn ich dir sagen würde, dass ich schwanger bin? Deshalb ist es zu spät, nicht wegen des Restaurants, des Aufgebots oder was auch immer…«
Ich stütze mich auf den Ellbogen, um ihr ins Gesicht zu sehen, um zu kapieren, ob sie das wirklich ernst meint.
»Sieh mich an, bist du wirklich schwanger, oder sagst du das nur, damit ich dich in Ruhe lasse?«
»Was glaubst du?«
»Du bist nicht schwanger. Du willst mich nur loswerden. Aber das wird dir nicht gelingen. Nicht mal, wenn du wirklich schwanger wärst, was du aber nicht bist. Sonst hättest du nicht mit mir geschlafen.«
»Vielleicht kennst du mich ja doch nicht so gut.«
[259] »Ich glaube dir nicht, aber selbst wenn, ich nehme dich auch mit Kind. Wenn zwei Menschen sich lieben, müssen sie zusammenleben.«
»Schön, ja, aber manchmal kommt die Liebe zum falschen Zeitpunkt. Bei uns war es der falsche Zeitpunkt.«
»Nein, du irrst dich. Es ist noch nicht zu spät. Immerhin haben wir wieder zueinandergefunden, bevor du einen anderen geheiratet hast. Gerade noch rechtzeitig. Und außerdem hast du mir eben, als wir miteinander geschlafen haben, noch gesagt, dass du ein Kind von mir willst. Vielleicht haben wir gerade eins gezeugt.«
»Ich hab dich immer geliebt, Lorenzo. Und ich liebe dich jetzt genauso wie beim ersten Mal. Ich liebe dich, wie ich dich immer geliebt habe – damals, als ich dich verlassen habe, genauso wie jetzt, wo ich zurückgekommen bin. Ich liebe dich, wie ich dich auch in den letzten beiden Jahren geliebt habe. Ich werde nie einen anderen so lieben, wie ich dich liebe. Ich hab’s versucht, aber es hat nicht geklappt. Ich bin gern mit dir zusammen, weil ich es mag, wie du mich ansiehst, wie du mich verwöhnst, wie du mit mir redest, wie du mich anfasst, wie wir miteinander schlafen. Ich mag deine empfindsamen Seiten, die du so hartnäckig zu verbergen suchst. Es macht mir Spaß, sie aufzuspüren. Sie zu erkennen. Sie zu verstehen. Ich mag dich, auch wenn der Preis dafür immer hoch war. Du hast
Weitere Kostenlose Bücher