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Zeit für mich und Zeit für dich

Zeit für mich und Zeit für dich

Titel: Zeit für mich und Zeit für dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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behandelten, immer obenauf waren und von allen bewundert wurden. Das fand ich ungerecht. Ich konnte es nicht verstehen, und es verwirrte mich. Ich begann daran zu zweifeln, ob das, was man mir zu Hause beibrachte, tatsächlich richtig war.
    Eines Morgens kam ein Kontrolleur vom Gesundheitsamt. Beim letzten Mal hatte er uns einige »kleinere bauliche Veränderungen« auferlegt, wie er es nannte. Die Spüle im Hinterzimmer, wo wir Sandwiches und Salate machten, musste aus Stahl und der Wasserhahn mit einem langen Hebel versehen sein, den man mit dem Ellbogen bedienen konnte, wie es die Chirurgen tun, bevor sie in den OP gehen. Und in der Toilette musste das WC gegen ein Stehklo ausgetauscht werden. Für uns bedeutete das eine Menge unvorhergesehener Ausgaben, für ihn waren es nur »Kleinigkeiten«, wie er im Hinausgehen sagte.
    Als er nun wiederkam, forderte er, dass der Ellbogenhebel durch eine Pedalbedienung ersetzt werden müsse, auch in der Toilette, und eventuell sei ein Stehklo doch nicht nötig gewesen.
    [64]  »Wollen Sie uns verarschen? Sie haben uns letztes Jahr doch selbst gesagt, dass wir das alles ändern müssen.«
    »Was erlaubst du dir, Jungchen?«
    Mein Vater hielt mich zurück und schickte mich hinaus; dann entschuldigte er sich sofort bei dem Kerl. Ich zog die Schürze aus, rannte in den Park und malträtierte auf dem Weg dorthin einen Müllcontainer mit Tritten und Hieben. Als ich zurückkam, hielt mein Vater mir eine Standpauke, die ich bis heute nicht vergessen habe: Ich müsse lernen, im Leben bestimmte Dinge runterzuschlucken. »Die, die das Sagen haben, bekommen ihr Brot immer auf beiden Seiten gebuttert, verstehst du? Sei froh, dass er es dir nicht übelgenommen hat. Wenn wir den gegen uns aufbringen, macht er uns den Laden dicht. Weißt du, was das bedeuten würde?«
    Jeder konnte uns drohen und unter Druck setzen, selbst die unteren Chargen. Einmal wurden wir von einem Beamten des Ordnungsamts zu einer Strafe verdonnert, die mehr als die Hälfte unserer Tageseinnahmen fraß, nur weil wir an der Tür kein Schild mit unseren Öffnungszeiten angebracht hatten.
    Ich wurde immer zorniger. In mir tickte eine Zeitbombe. Dabei war ich als Junge immer besonnen und verantwortungsbewusst gewesen. Aber in jenen Jahren hatte ich eine solche Wut im Bauch, da halfen nur zwei Dinge: Joints und Fußball. Im Stadion schrie ich den gegnerischen Fans meinen ganzen Frust entgegen, sie standen für all jene, die mir unter der Woche das Leben vermiesten, dementsprechend beschimpfte und bedrohte ich sie. Ab und zu war ich sogar versucht, bei den [65]  Schlägereien mitzumachen, aber ich bin wohl nicht der gewalttätige Typ. Stattdessen brüllte ich mir meinen ganzen Ärger von der Seele. Wenn ich das Stadion verließ, war ich so heiser, dass ich keinen Ton mehr rausbrachte.

[66]  Der neue Nachbar
    Ich war gerade mal vierzehn, Roberto schon um die dreißig. Er saß auf einem Karton vor der Haustür und klimperte auf einer Gitarre herum. Das war unsere erste Begegnung.
    »Wohnst du hier?«, fragte er mich.
    »Ja, warum?«
    »Ich von heute an auch. Ich bin der neue Mieter.«
    »Ah, gut. Ich heiße Lorenzo. Ziehst du in die leere Wohnung im zweiten Stock? Ich wohne eine Tür weiter auf der linken Seite. Wolltest du rein?«
    »Nein, ich warte auf einen Freund. Er kommt mit dem Auto und bringt die restlichen Kartons. Wir sehen uns dann.«
    »Okay.«
    Es gibt Menschen, die einen gleich anziehen und denen man sich irgendwie nahe fühlt, obwohl man sie gar nicht kennt. So einer war Roberto.
    Seine Wohnung lag gleich neben unserer. Abends hörte ich dort oft Leute lachen, Musik hören oder auch selbst Instrumente spielen. Alles an ihm machte mich neugierig. Ich legte das Ohr an die Wand und lauschte. Zuerst nahm ich ein Glas zu Hilfe, später entdeckte ich, dass man mit einem Suppenteller besser hört. Was [67]  gesprochen wurde, konnte ich nicht verstehen, aber ich bekam mit, dass sie Spaß hatten. Ich wäre zu gern rübergegangen, doch es waren alles Leute um die dreißig, also praktisch doppelt so alt wie ich, und die hätten mich sicher nicht beachtet. Obwohl Roberto mich immer grüßte, wenn wir uns vor dem Haus oder auf der Treppe begegneten oder wenn er in die Bar kam, und mich jedes Mal fragte, wie es mir ging, und sich ein bisschen mit mir unterhielt. Manchmal, wenn ich zu Hause war und seine Tür ging, lief ich schnell hinaus und tat so, als wollte ich hinunter in die Bar. Er grüßte mich dann mit einem

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