Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeit für mich und Zeit für dich

Zeit für mich und Zeit für dich

Titel: Zeit für mich und Zeit für dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
Vom Netzwerk:
angekündigt hatte.
    Wie oft stand ich gemeinsam mit meiner Mutter an der Kasse und wartete darauf, dass das noch fehlende Geld hereinkam, um dann zur Bank zu laufen und es noch schnell vor Schalterschluss einzuzahlen. Manchmal fehlte gar nicht viel, aber wir hatten bereits unsere Taschen geleert, in allen Mänteln im Schrank nachgeschaut und Freunde gefragt. Manche Freunde konnten wir nicht um Geld bitten, weil wir ihnen schon welches schuldeten.
    Was für ein Leben: immer im Laufschritt mit hängender Zunge und klopfendem Herzen, und das alles wegen vollkommen lächerlicher Beträge. Einmal fehlten uns nur zwanzigtausend Lire, und bei jedem neuen Gast hofften wir, er werde mehr bestellen als nur einen Kaffee. Einen Toast, ein Sandwich, ein Bier, irgendwas, das ein bisschen teurer war.
    Ein andermal hatten wir das Geld endlich zusammengekratzt, und ich stopfte es in eine Papiertüte, setzte mich [61]  auf mein Fahrrad und raste los. Mindestens zweimal wäre ich beinahe umgefahren worden. Völlig außer Atem kam ich beim Gericht an und erklärte, dass ich einen Wechsel bezahlen wolle. Der Beamte, ein zwergenhafter Mann um die sechzig, musterte mich und sagte: »Was kommst du jetzt angelaufen? Wer kein Geld hat, sollte einen Wechsel überhaupt nicht erst unterschreiben.«
    Dann nahm er die Papiertüte und zählte die Scheine, wobei er sie fein säuberlich stapelte.
    »Und das nächste Mal leg sie ordentlich zusammen, alle mit der gleichen Seite nach oben.«
    Ich musste mir eine Erwiderung verkneifen: Das nächste Mal würde ich es vielleicht nicht rechtzeitig schaffen, und wenn ich nur eine oder zwei Minuten zu spät kam, würde er darüber befinden, ob es reichte oder nicht. Wenn ich aber gute Miene zum bösen Spiel machte, würde er vielleicht die Güte haben, ein Auge zuzudrücken. Ja, für seine Freundlichkeit musste man ihm sogar noch dankbar sein, was er mir nun auch tatsächlich unter die Nase rieb: »Diesmal lasse ich es durchgehen, ich bin ja kein Unmensch… Aber dass mir das nicht zur Gewohnheit wird!«
    Man lernt, zu schweigen und den Kopf gesenkt zu halten: Das ist die wahre Sozialpolitik.
    Einmal ging ich zu einem Notar, um einen Wechsel zu bezahlen. Er schüttelte das Geld aus meinem Säckchen und meckerte: »Was ist denn das für ein Kuddelmuddel? Das nächste Mal bringst du mir große Scheine. Wir haben hier nicht die Zeit, den ganzen Nachmittag Geld zu zählen.«
    [62]  Zu gern hätte ich einen Stuhl auf seinem sonnengebräunten Schädel zertrümmert, das Bild des Lions Club, das im Eingang hing, in Fetzen gerissen und ihm Stück für Stück damit das Maul gestopft – große Stücke natürlich, schließlich hatte er nicht den ganzen Nachmittag Zeit, darauf rumzukauen, aber auch dieses Mal senkte ich nur den Blick und sagte leise: »Bitte entschuldigen Sie, es wird nicht wieder vorkommen.« Es war zu einem Reflex geworden und kam mir ganz automatisch über die Lippen, ohne dass ich noch darüber nachdachte. Dieser Notar war lediglich einer von vielen, die mir eine Lektion über das Leben erteilten. Solche Begegnungen waren meine eigentliche Ausbildung, mein Diplom.
    Ich lernte, meine Wut zu unterdrücken, und das war oft hilfreich. Vor allem wenn ich den Boden in der Bar putzte: die Flecken wegschrubbte, die Krusten abschabte, den Dreck aus den Ecken kratzte – wenn’s sein musste auch mit dem Daumennagel –, sogar die Toiletten reinigte, wo die Gäste es oft nicht mal für nötig hielten, die Spülung zu betätigen. Denn das war es, was das Leben für mich bereithielt, und ich musste noch dankbar sein, dass ich in der Bar meines Vaters so leicht eine Arbeit gefunden hatte.
    Einmal fuhr mein Vater mich nach Feierabend zur Bank, um die Geldkassette mit den Tageseinnahmen einzuwerfen. Als ich den Schlitz öffnete, fand ich eine Kassette, die im Schlitz stecken geblieben und nicht in den Schacht hinuntergefallen war. Sie war prall gefüllt. Ich nahm sie und ging zum Auto.
    »Die hab ich gefunden, ist randvoll.«
    [63]  Mein Vater warf nur einen kurzen Blick darauf und meinte: »Mach sie zu und wirf sie wieder rein. Und achte darauf, dass sie nicht wieder stecken bleibt.«
    So war mein Vater: Selbst in den schwierigsten Zeiten gingen ihm Ehrlichkeit und Respekt über alles. Ich war noch jung, manches war für mich nur schwer zu begreifen. Er, der ständig in Schwierigkeiten steckte, brachte mir solche Werte bei, während die arroganten, unverschämten Leute, die mich ohne jeglichen Respekt

Weitere Kostenlose Bücher